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Wörndl: Vegetarische Gerichte aufs Ganze

„Vegetarische Gerichte, die aufs Ganze gehen“, ist das neue Buch von Bernadette Wörndl überschrieben. Und natürlich ist es eine ehrenvolle Aufgabe, sich der Frage zu widmen, was man mit den Teilen der vegetarischen Produkte, die man gemeinhin als Küchenabfall deklariert, machen kann. Die Antworten fallen vielschichtig aus.

Bernadette Wörndl legt ein Kochbuch vor, das aufs Ganze geht

 

Sollte man sich in einer Zeit, in der mindestens die Hälfte der Lebensmittel, die in den Handel gelangen, vernichtet werden, bevor sie den Verbraucher überhaupt erreichen, noch Gedanken machen, wie man Reste verwertet? Kann man durch eine solche Verwertung etwas am fortlaufenden Prozess der Lebensmittelverschwendung ändern? Kochen und Produktauswahl haben immer etwas mit Politik zu tun. Dadurch, dass ich mir überlege, welche Produkte ich kaufe, kann ich eine Entscheidung treffen: Will ich das Hähnchen aus der Geflügelmast, oder lehne ich die Massentierhaltung ab, kaufe also auch keine entsprechenden Produkte? Die Entscheidung ist schnell getroffen und kann zu Veränderungen im Produktionskreislauf führen. Natürlich ändert ein Einzelner nichts, und es ist sogar anzunehmen, dass wir weiterhin die Verschwendung von Lebensmitteln erleben werden, egal wie bewusst wir unsere Ess- und Kaufverhalten gestalten. Aber: das reflektierte Kaufverhalten, die bewusste Entscheidung für ein Lebensmittel und gegen ein anderes verändert die Art über uns und unseren persönlichen Umgang mit der Umwelt nachzudenken. Denn die Einverleibung von Lebensmitteln kann ein rein rücksichtsloser Akt sein, oder aber ein Akt, der nicht nur die Sinne, sondern auch den Verstand anzuregen vermag.

Warum werfen wir Brokkolistängel weg? Weshalb entsorgen wir die Blätter von Roter Beete? Warum machen wir uns keine Gedanken darüber, wie wir die Schale einer Wassermelone einer kulinarischen Verwertung zuführen? Ist es Bequemlichkeit, angeeignetes Verhalten oder einfach der Umstand, dass man sich bisher weder Gedanken zu diesen Themen gemacht hat, noch dass man eine Anregung dazu erhalten hat? Im vorliegenden Fall liefert ein vegetarischer Ansatz teilweise verblüffende, sehr oft überzeugende Antworten.

Kühlschrank und Kreativität

Die Autorin sagt über sich selbst, dass ein voller Kühlschrank ihre Kreativität hemmt. Am liebsten kocht sie aus wenigen guten Zutaten etwas einfach Besonderes. Werfen wir also einen Blick in ihr Buch.

Das Buch ist nach den Produkten in alphabetischer Reihenfolge gegliedert, fungiert also wie ein kulinarisches Nachschlagewerk. Machen wir zuerst die Probe auf das angesprochene Exempel und schlagen unter Melone nach, was man mit Schale und Kernen dieser Frucht unter kulinarischen Aspekten anfangen kann. Schlägt man nun das „M“ nach, erwartet den Leser die erste freudige Überraschung: Zu Beginn eines an sich aus kulinarischer Hinsicht bedeutungslosem lexikalischen Zusammenhang, wird ihm an dieser Stelle ein kurzes Abstract zu den einzelnen Produkten und den im Buch aufgeführten Rezepten an die Hand gegeben. So wird der Leser am Beispiel der Wassermelone bei einer Kindheitserinnerung abgeholt: einfach in eine Scheibe Wassermelone zu beißen, um sich mit vor Saft verschmierten Händen eine neue Scheibe zu nehmen ist durchaus ein sommerliches Vergnügen, dem sich nicht nur Kinder hingeben. Schon erwächst aus der Kindheitserinnerung die Anregung, aus dem Produkt einen herzhaften Salat mit nach Angebot und Laune wechselnden Zutaten werden zu lassen, bevor es in den speziellen Bereich geht, auf den dieses Buch im Wesentlichen abzielt: die Teile des Produktes, die normalerweise keine kulinarische Verwendung finden, hier also die Kerne und die Schale.

Kerne rösten und zu einem Chutney aus Melonenschale reichen. Die Schale kann man aber auch einlegen, um sie für Currys oder kalte Joghurtsuppen als Topping zu verwenden. Haben wir es hier mit einer Variante der aus „Cook it raw“ bekannten Fragestellung der Top-Sterne Küche zu tun: Wie machen wir die Produkte der uns umgebenden Landschaft kulinarisch nutzbar? Neugierig geworden schlägt man also die angesprochenen Anregungen nach. Doch hier stellt sich ein fader Beigeschmack ein, der hätte verhindert werden können, wenn die Wortwahl der Autorin nicht andere, größere Erwartungen erzeugt hätte. Dass es Anregungen gibt die Kerne aromatisch zu rösten, ist eine nette Sache, stellt aber auch keine großartige Überraschung dar. Dass man allerdings die eigentliche grüne Schale der Wassermelone auch hier nicht weiter verwendet, sondern lediglich das Weiße der Schale, welches unter anderer Betrachtung auch dem Fruchtfleisch zugeschlagen werden könnte, ernüchtert dann doch. Selbst noch, wenn das Rezept für das Chutney aus weißem Melonenfleisch sicherlich einen angenehmen Begleiter für Käse oder Currys abgeben mag. In diesem Beispiel geht es mehr um den Kern als um die Schale.

Durchdacht konzipiert

Doch da wir nun schon mitten im Kochbuch angelangt sind, machen wir zunächst das, was man mit anregenden Kochbüchern immer machen sollte: man lässt sich durch Bilder und Rezepte treiben. Und allmählich, nachdem man seine vielleicht zu hoch trabenden Erwartungen gezügelt hat, merkt man, wie leicht und wie durchdacht dieses Buch konzipiert ist. Dabei geht die Idee nicht von den Resten aus, sondern wirklich von den Produkten, die auf herrlich einfache Art raffiniert zubereitet werden. Zudem gibt es durch kluge grafische Gestaltung immer den Hinweis auf ein Rezept, in welchem die angefallen Reste verwertet werden - und das sind nicht wenige. Nicht nur Kartoffelschalen erleben ihre kulinarische Veredelung und werden somit vor dem Kompost bewahrt, dasselbe Schicksal erfahren fast alle Teile der Gemüse und Obstprodukte, die in diesem Buch vorgestellt werden. Damit einem nicht der Kopf schwillt, was man aus den Resten der Reste der Reste noch machen könnte, gibt es am Ende eines jeden Kapitels stets noch Hinweise darauf, wie man auch diese weiter verwerten könnte. Und hier ist nicht einfach mit dem Verweis auf einen Gemüsefond Schluss, das liegt unter dem von der Autorin locker leicht erreichten Niveau.

So gesehen regt die Resteverwertung wirklich zum kulinarischen Nachdenken an. Das Buch liefert neben einer Fülle von leicht nachzukochenden Gerichten, sehr viel Anregung für den täglichen Küchenalltag und dieses bescheidene Argument sagt mehr aus als jede laute Lobhudelei. Obwohl man natürlich gerne wüsste, nachdem man die Aprikosenkerne zu leckerem Eis und die Reste der Karotten, die bei der Herstellung zum Karotten-Panna-Cotta angefallen sind, für ein Karotten-Halwa verwendet hat, was man denn wohl aus den Melonenschalen machen könnte.  Aber durch das Buch findet man genügend Anregungen, bis Bernadette Wörndl ein weiteres Buch herausgegeben hat, um dann auch diese Frage zu beantworten, oder – wer weiß – man traut sich nach der anregenden Lektüre im nächsten Sommer selber an einen Lösungsvorschlag für dieses Problem.



Für Sie gelesen

Bernadette Wörndel: Von der Schale bis zum Kern. Vegetarische Gerichte die aufs Ganze gehen. Fotografien von Gunda Dittrich. Brandstätter Verlag Wien 2014, 192 S. geb., 29,90€

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Charaktere: Cook it raw
Bücher: Quay
Zutaten: Reste
Köpfe: Michael Serres

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