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Nicht nur der Protagonist erlebt sein blaues Wunder | Cover des besprochenen Bandes (Ausschnitt)

Bloß keinen Rosé-Champagner

Die 1967 in Kobe geborene Amélie Nothomb stürmt in Frankreich mit jedem neuen Buch die Bestsellerlisten. In ihrem mittlerweile 26. Roman „Blaubart“ überträgt sie das Märchen von Charles Perrault aus dem 17. Jahrhundert ins Paris der Gegenwart. Dabei erlebt nicht nur der Protagonist sein blaues Wunder.

In Blaubart entwirft Amélie Nothomb eine Göttin des Gemetzels

Das Buch ist ein kulinarisches Fest: Es wird gegessen und getrunken, Champagner von bester Güte fließt in Strömen. Doch all das ist lediglich die Dekoration für einen Kampf der Liebe, ein wahres Gemetzel mit und über die Macht der Worte.

Noch nächtigt Saturnine auf der unbequemen Coach einer Freundin. In der begehrten und teuren Stadt Paris muss man sich halt zu bescheiden wissen. Doch zufällig ergibt sich für sie die Gelegenheit einen Raum zur Untermiete, noch dazu bei einem spanischen Adeligen, dem ein ominöser Ruf vorauseilt. Don Elemirio Nibal y Milcar, ist nicht nur Mitglied des spanischen Adels, sondern auch ein Mann, dem nachgesagt wird, schon acht Frauen zur Untermiete beherbergt zu haben, von denen angeblich jegliche Spur fehlt. Beim folgenden Bewerbungsgespräch stellt sich heraus, dass der Mann nicht nur von Saturnine hingerissen, sondern darüber hinaus auch ein begeisterter Koch ist. Wie ein Küchenmesser zartes Fleisch, trennt seine Definition die Menschheit in Köche und Esser: „Kochen ist Kunst und Macht; niemals würde ich mich der Küche eines anderen unterwerfen.“

Es scheint als wäre mit diesem kurzen Verweis die Manege eröffnet, doch Saturnine hat keinerlei Problem sich von diesem Mann, der seit einer Generation sein Haus nicht mehr verlassen hat, bekochen zu lassen. Im Gegenteil: Sie nennt ihm sogar ihre kulinarischen Vorlieben, um sich von ihm nach allen Regeln der Kochkunst verwöhnen zu lassen. Schon entbrennt die Liebe des Mannes zu der unnahbaren Frau, die den Luxus der schönen Wohnung ebenso zu genießen versteht wie die Zuwendungen des geheimnisvollen Mannes.

Genuss , Gespräche, Gefühle

Die Wohnung steht Saturnine offen, sie kann ebenso über den Chauffeur wie über den Hausdiener verfügen. Der Boden des Badezimmers ist angenehm temperiert. Es gibt sogar einen eigenen Kühlschrank für die Untermieterin, doch der Hausherr beharrt auf einem Tabu: Zwar sind alle Türen seiner Wohnung unverschlossen, doch seine Dunkelkammer darf ausschließlich von ihm selbst betreten werden. Zuwiderhandlung würde sein Vertrauen in die geliebte Untermieterin zerstören. Sollte die Kammer doch vielleicht die verschwundenen Vorgängerinnen beherbergen?

Der Platz der Unterwerfung bleibt ausschließlich die Küche: Der Hausherr bereitet Omelett einschüchternd perfekt und gibt sich dabei als Anhänger der Inquisition zu erkennen. Saturnine erkennt den Wahnsinn eines Mannes, der Prozesse gegen Frauen, die als Hexen auf dem Scheiterhaufen endeten, auch heute noch verteidigen möchte. Fortan entfaltet sich eine vielschichtige Schlacht zwischen den Geschlechtern, zwischen Wahnsinn und Rationalität, zwischen Aufklärung und Mittelalter. Wenn der Mann ein Mörder ist, wie ihn überführen? Wenn er es aber nicht ist, wie seinen Verführungskünsten widerstehen? Und wenn er einfach nur zu geschickt in seiner Täuschung und seinen Verführungskünsten sein sollte? Don Elemirio ist nicht nur ein Charmeur und Kochkünstler, er versteht es ebenso wie mit Worten durch sein handwerkliches Geschick und seine Geschenke die Gunst seiner Umworbenen auf sich zu ziehen. Natürlich werden Eier und die Farbe des Eigelbs hierbei eine nicht nur katholische Geschichte spielen. Und selbstredend verfangen wir uns in seinem äußerst rationalen Wortgeflecht, nicht umsonst ist er stolz darauf niemals zu lügen. Aber handelt es sich dabei um die Rationalität eines vielfachen Frauenmörders?

Über das Essen, die Tarte Saint-Honoré, welcher der Verführer auf Wunsch seiner Angebeteten zubereitet, mehr aber noch über die verschiedenen ausgezeichneten Champagner, welche er nach Anraten Saturnines im Kühlschrank deponiert hat kommen sich die Beiden näher. Immer mehr verfängt sich Saturnines im Geflecht seiner Gaben, wären da nicht stets seine Worte, die sie stutzig werden lassen. Trotz der Ströme an Champagner, trotz des Wodkas zum Kaviar, trotz ihrer – fast möchte man sagen unvermeidlichen – Verliebtheit in ihren Gastgeber, erkennt sie bald das Schicksal eines zu tiefst gekränkten Mannes.

Große Themen – leichter Stil

Amélie Nothomb ist mit Blaubart auf das Vortrefflichste eine Modernisierung des Märchenstoffes gelungen. Die großen Themen der Aufklärung werden angetippt, schwingen den Roman hindurch weiter und verleihen den gemeinsamen Treffen in der Küche einen stets größer werdenden akustischen Rahmen. Der Mann sitzt wie weiland die Frau zu Hause, lässt die Welt an sich vorbeiziehen, bekocht die Frau und näht ihr ein Kleid so kunstvoll und filigran, dass sie sich in diese Arbeit und darüber in den Handwerker verliebt. Beide Parteien beanspruchen die Rationalität für sich, doch jetzt ist es der Mann, der seine Argumente im fast schon hysterisch verteidigten Unbedingten verankert sehen will. Das letzte Abendessen offeriert keine große Kochkunst, aber großen Genuss: Kaisergranat in Begleitung eines Krug-Clos du Mesnil 1843, nicht zufällig erinnert diese Zusammenstellung an ein Stilleben. Die Vereinigung, die sich im Anschluss vollzieht ist es noch mehr. Das Buch ist keine üppige vor Karamell klebende Torte, es erinnert eher an ein Champagner-Soufflé. Dieses nicht in sich zusammen fallen zu lassen, ist die große Kunst der Autorin, der man im deutschen Sprachraum ein größeres Publikum wünscht.

Für Sie gelesen

Amélie Nothomb: Blaubart. Roman. Diogenes Zürich 2014, 143 Seiten geb., 18,90€

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