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Geschichten aus der Heimbürokantine - Poesie der Meditation

 

Poesie der Meditation

Klar, auch wenn jetzt alles wieder auf Normal gestellt wird: Corona hat eine neue Normalität geschaffen. Einige Dinge sehen wir jetzt anders, einige Dinge haben sich in unserem Alltag verändert und im besten Falle haben wir damit begonnen, einige Dinge in unseren Alltag zu integrieren, die wir schon lange einmal als alltäglich genießen wollten. Wie also wäre es, wenn man den Veränderungen der Pandemie durch Meditation am häuslichen Herd begegnet? In jeden Fall spannend und im vorliegenden äußerst vielschichtig. Denn in ihrem Buch „Heimbürokantine“ stellt sich Wibke Ladwig den Herausforderungen dieser neuen Normalität durch tatkräftige Veränderungen und erhellende Reflexionen.

 

Leichte Vignetten hinter sperrigem Titel: Heimbürokantine

„Essen ist Erinnerung.“ Es ist dieser Satz, der die erste Meditation dieses kleinen und so liebevoll gestalteten Buches beendet und den Leser wie durch stille Anregung gemahnt noch einmal an dessen Anfang zu wechseln: „Ich erinnere mich noch an das warme Baguette in meiner Hand.“ Das Knäppchen wird auf dem Weg zum Zeltplatz abgebrochen. „Gewürzt mit einem Hauch von schlechtem Gewissen schmeckt es gleich nochmal so gut.“

Und schon sind wir mittendrin, im alltäglichen Universum des Essens und unseres täglichen Brots, das sich aus Geschmack, Gewissen, Gewürz, Zielstrebigkeit und Erinnerung in der Gegenwart die Zukunft formt. Alle Zutaten – vom Altruismus des Kochens, bis zum Egoismus des Schmeckens, von der Vorfreude bis zum Genuss – sind hier auf engstem Raum versammelt und bilden den Auftakt für Fragen nach dem was wir sind, warum wir Erinnerungen essen und weshalb ein reflektierter Umgang mit Lebensmitteln unser Leben positiv beeinflusst. Ganz ohne Sendungsbewusstsein, dafür gespickt mit vielen anregenden Ideen und Überlegungen, die den Alltag verändern, da sie einen neuen Blick auf ihn formen.

 

Ein Buch als kulinarischer Glücksfall

 

Um es klar heraus zu sagen: Dieses Buch ist ein kulinarischer Glücksfall, denn es behandelt Essen, seine Form der Zubereitung von der Lebensmittelbeschaffung bei seinen Produzenten bis hin zum gemeinsamen Genuss am Tisch, in einer Form, die ihm seine Alltäglichkeit zurückgibt. Hier wird nicht von Kochkunst schwadroniert, sondern vom alltäglichen Glück, welches es für diejenigen bereithält, die sich ab und zu ein Glas Wein am Herd gönnen, um die Sonnenstrahlen in einem anderen Licht und das Wesentliche des Lebens in all seiner Klarheit zu erkennen.

Das Buch ist eine kulinarische Deklination der Kultur des Kochens, die ohne Glorifizierung davon Zeugnis ablegt, wie wichtig, wie zentral das Essen für uns unser Leben und die Gestaltung unseres Alltags ist.

Und es sind durchweg meditative Gedankengänge rund um das Essen, seine Beschaffung und Zubereitung, die den Rahmen dieses schmalen Bandes abgeben. „Heimbürokantine“ der etwas sperrig wirkende Titel wirkt dabei wie das Hereinbrechen der neuen Wirklichkeit durch die Pandemie. Denn das bis dahin in festen Bahnen lebende Paar wird auf das Homeoffice zurückgeworfen. Auf einmal sind beide in der eigenen Wohnung, nicht nur, um dort zu leben, sondern auch, um dort zu arbeiten. Natürlich fehlt zur Verköstigung die entsprechende Bürokantine, die nun ebenfalls in der eigenen Wohnung etabliert wird. Fortan geht es vor allem um praktische Überlegungen, wie man die eigene Verpflegung sinnvoll planbar gestalten kann. Grundlage werden die vorausschauenden Blicke in den Vorratsschrank und die Besuche der nahe gelegenen Wochenmärkte, um frische Lebensmittel in guter Qualität einzukaufen – was eben beim gängigen Discountermarktangebot mit langen Lieferwegen und Kühlketten nicht geboten werden kann - und um ein Maximum an Müllvermeidung zu erreichen. Doch diese Grundlage wird lediglich am Rande gestreift. Spannender sind die Erzählungen über die Sinnlichkeit der Linsen, die planende Zusammenführung der kulinarischen Überlegungen, welche Rezepte und saisonales Marktangebot bereithalten, wenn man sich das Vergnügen gönnt, sich dazu Gedanken zu machen. Denn damit fängt es an: Essen, die Produkte und ihre Erzeuger. Früher, so zeigen die Streifzüge in die Kindheit der Autorin, wuchsen die meisten im Haus verarbeiteten Obstsorten noch im eigenen Garten, kamen zur Ernte frisch und den Rest des Jahres eingeweckt auf den Tisch. Und auch heute lohnt sich das Gärtnern, wenn man dem Geschmack der Kindheit, etwa in Form eines frisch geernteten Salats auf der Spur ist. Alternativ aber bietet es sich an gute Lebensmittel der Region auf den Märkten der Umgebung ausfindig zu machen. Denn was in den ländlichen Regionen Frankreichs – Essen ist ja auch immer eine Reise, sowie die Erinnerungen daran – normal ist, muss bei uns erst gesucht werden: Ausgezeichnete Lebensmittel der Region, die dann natürlich stets saisonal sind. Und spätestens bei den sinnlichen Beschreibungen zu Rosen- und Grünkohl, bekommt man unwillkürlich den Impuls jetzt sofort, an den Herd zu wandern, um den Genuss der Lektüre in Genuss auf die Teller zu verwandeln. Zum Glück hält dieser liebevoll gestaltete Band auch passende Rezepte als Anregungen für eigene Gedankengänge am Herd bereit.

 

Tartuffel empfiehlt:

Wibke Ladwig: Geschichten aus der Heimbürokantine. Hädecke-Verlag Weil der Stadt 2021, 128 Seiten, geb., 18,00€ 

 

 

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