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Aus der Speisekammer kochen, essen, lesen

Kochgeschichten und Kochrezepte. Vielleicht sind das die größten Unterschiede im geschriebenen kulinarischen Kosmos – oder bedingen sie sich? Ist das eine ohne das andere gar nicht denkbar? Beginnt Kochen mit einer Geschichte, oder mit einem Rezept? Was ist mit den Zutaten? Was mit den Menschen am Herd? Was mit den hungrigen Essern am Tisch? Und: Gibt es ein Erfolgsrezept für Kochbücher?

Nigella Lawsons: Kochen, Essen, Lesen – Yotam Ottolenghi: Shelf-Love

Was zeichnet erfolgreiche Kochbücher aus? Yotam Ottolenghi und Nigella Lawson haben mit ihren Erfolgen Kochbuchgeschichte geschrieben. Nun legen sie mit ihren neuen Kochbüchern in Format, Ausrichtung und Ausstattung Antworten vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber es ist kein Zufall, dass sie gleichzeitig im selben Verlag erscheinen. Warum?

Nun, beide Bücher legen Zeugnis von ihren gut miteinander befreundeten Autoren ab. Und im Gespräch mit Ihnen, merkt man, wie gut sie sich ergänzen, wie sehr sie sich respektieren und schätzen. Mit ihren Büchern verhält es sich ähnlich: Auf der einen Seite das wortgewandte Buch von Nigella Lawson. Überbordend, umfangreich eine Hommage an das Essen, hinreißend, mitreißend in Texten, Bilder, Rezepten. Dort der Band von Yotam Ottolenghi, schmal wie ein Regalbrett und schon merkt man, dass der Titel hier die Form angibt, mehr noch:

Shelf – Regal als kurzer Überbegriff für alle häuslichen Räume, in denen lang lagerbare Lebensmittel aufbewahrt werden können, teilweise so lange, bis man sich an sie erinnert, oder sie beim Aufräumen überrascht wiederfindet. Und schon die ersten Seiten stellen unter Beweis, dass hier jemand mehr machen möchte, als einfach nur Rezepte zu präsentieren. Das Kochbuch selbst ist wie ein Aufbewahrungsschrank konzipiert. In Gliederung und Übersicht liefert es eine gelungene Mise en place. Der Leser wird direkt auf die wesentlichen Dinge gelenkt. Die Haptik lädt dazu ein, das Buch mit in die Küche zu nehmen. Vielleicht sollte man einfach mal die eigenen Schränke durchforsten und schauen, welche Anregungen das Buch liefert, um mit den eigenen Vorräten Gerichte im Ottolenghi Style zu kochen. Und in der Tat: Im Interview erklärt der Autor, dass er seinen Lesern nur Anregungen mit auf den Weg geben möchte. Natürlich kann man seine Rezepte gelingsicher nachkochen, wenn man sie befolge, aber sie sollen eher als Vorschlag dazu dienen, die eigenen Zutaten im Vorratsschrank ganz nach eigenem Geschmack zuzubereiten. Man soll hier eher die Technik der gelingsicheren Umsetzung erlernen. Die Rezepte erinnern sofort an Ottolenghi-Klassiker, sind aber meist so konzipiert, dass man nur wenige frische Zutaten benötigt. Das Buch bietet Einblicke in die Gedankenwelt des Teams, das in der Zeit des Lockdowns die Testküche bevölkert hat, um Rezepte aus gelagerten Zutaten – gerade solche, die manchmal bis zum Vergessen in einem Regal schlummern, um eines Tages wiederentdeckt zu werden, da sie lange haltbar sind - zu entwickeln.

 

Struktur und Lebendigkeit

 

Hier also lernt man die Grundzüge aus vorhandenen Lebensmitteln grandios schmeckende einfache Gerichte zuzubereiten und kann dann zum anderen Buch greifen. „Kochen, essen, leben“ erzählt davon, wie sehr Leben mit dem Essen und beides selbstverständlich mit dem Kochen verbunden ist. Zeigt „Shelf“, wie sinnvoll eine Struktur, ein Konzept und Vorbereitung in der Küche sind, so wird in „Kochen, essen, leben“ einfach lebendig drauf los geredet. Auf den ersten Blick scheinen die Rezepte ungeordnet eingestreut, wie es der Autorin in den Sinn kommt. Dann aber wird klar, dass die klassische Ordnung von Rezepten hier zugunsten einer anderen Struktur aufgebrochen worden ist. Nicht von Vorspeise zum Dessert wird hier gearbeitet, die Rezepte illustrieren die jeweiligen kulinarisch inspirierten Themen des Buches.

Bleiben wir direkt beim Thema Rezepte. Lawson widmet diesem ihr erstes Kapitel. Was zeichnet ein gutes Rezept aus? Was ist der Unterschied zwischen exakt und übergenau? Was erzählt ein Rezept, wie wird es durch die Kochbücher in andere Küchen und andere Zeiten getragen? Sehen wir es einmal praktisch: Ein Rezept entsteht durch die Dinge, die man zur Hand hat – wie auch sonst? Aber im täglichen Leben hat man nicht unbedingt 30g Zwiebeln und 150g Möhren in der Küche, also nimmt man die Zwiebel und die 3 Möhren, die man in etwa dafür benötigt. Man probiert aus. Manches Mal gelingen die Rezepte unterschiedlich, da die verwendeten Produkte eine andere Qualität aufweisen, da manche Gerichte im Winter anders wirken als im Sommer. Man schmeckt ab und hier soll man vor Allem seine eigenen Sinne schulen, um ihnen vertrauen zu können. Sind die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen bestmöglich vorhanden? Geben die Texturen ein feines Spiel am Gaumen? Benötigt das Rezept noch etwas? Zeit? Wärme? Ist es fertig? Dann raus auf den Tisch.

Beide Bücher geben Antworten darauf, was Kochen ausmacht. Rezepte, Regeln, Strukturen, Intuition, Geschmack und das Glück, das man beim gemeinsamen Essen erfährt. Denn das Leben, so könnte man diese grundlegenden wie anregend zu lesenden Werke zusammenfassen, erfordert Reflexion, damit wir es mit unseren Lieblingsbeschäftigungen zubringen können: Kochen. Essen. Lesen.

Leben.

 

Tartuffel empfiehlt:

Nigella Lawson: Kochen, essen, leben. Küchengeschichten & Kochgeheimnisse. Mit über 100 Rezepten, München 2021, 344 S., geb., 26,95€

Yotam Ottolenghi: Shelf Love. Einfach kochen. Ottolenghi Style. Neue Rezepte aus der Speisekammer, München 2021, 256 S., 24,95€

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