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Wie isst man ein Mammut | © Cover (Ausschnitt)

Essen schreibt Geschichte

Gemeinsames Essen ist uns so vertraut und selbstverständlich, wie die Gespräche bei Tisch: Tiefsinnig, humorvoll, anregend, gemeinschaftsbildend, freundschaftlich, familiär. Kunden werden bei Tisch zu Partnern, Bekannte zu Freunden. Am gemeinsamen Esstisch werden Probleme diskutiert und Feste gefeiert. Und natürlich zeichnen diese Ess-Geschichten auch unsere Geschichte nach. Man muss sich lediglich auf Spurensuche begeben: Ess-Archäo – Logisch.

 

Die Bedeutung des Mammuts

Folgendes Gedankenexperiment: Wir setzen uns an einen Tisch. Sagen wir der Tisch steht in einem Restaurant, das noch nicht bekannt ist, von dem wir aber gehört haben, das hier ausgezeichnet gekocht werden soll. Nicht nur das. Die Zubereitung der Speisen ist in vielen ja man kann fast sagen allen Punkten anders, als in den Häusern, die sich doch immer stärker im globalen Maßstab aneinander orientieren, um überhaupt Eingang in die Bewertungskultur zu erhalten. Im vorliegenden Fall, so wird uns zugetragen, handelt es sich um eine Frau, die lange Zeit schon ihre Techniken und Zubereitungen erprobt hat, ohne jedoch einem breiteren Publikum aufgefallen zu sein. Sie besticht also nicht mehr durch jugendliche Spontanität und immer wieder charmant aufgefangener Überschätzung, sondern durch eine über lange Jahre einstudierte Art, ihren Gerichten einen ganz spezifischen Charakter zu verleihen. Bei der Zubereitung setzt sie nicht nur auf handwerkliches Können, eine unübersehbare Begabung und überraschende Kompositionen, sondern beweist auch den Mut in vielen Dingen ganz eigene Wege zu gehen.

Die Frage ist also weniger: Was wird uns hier aufgetischt? Die können wir im Vorfeld nicht beantworten, sondern vielmehr: Wie gehen wir mit dieser neuen Art der Zubereitung um? Wie offen sind wir für Dinge, die wir noch nicht einzuordnen verstehen, die uns vielleicht stören, oder die wir erst verstehen müssen? Und was ist mit den Dingen, die wir nicht verstehen können? Was überwiegt in einem solchen Falle? Irritation? Der Spaß an der geweckten Neugier?  Oder die Freude über einen anderen, charakterstarken Ausdruck, der uns neu über Dinge der Kulinarik nachdenken lässt?

„Wie isst man ein Mammut?“ – Das Buch ist eigen, nicht artig, es ist fundiert. Es verfügt über Ecken und Kanten und liefert nicht einfach einen gefälligen Überblick über die menschliche Essgeschichte, sondern zahlreiche wertvolle Details uns erhellende Analysen. Hier wird in 50 Kapiteln aufgezeigt, wie essenziell das Essen, seine Produktion, Zubereitung und Darreichungsform für uns, unsere Geschichte, unseren Alltag und unser Zusammensein ist. Dabei wird das Essen nicht nur vom Acker, der Amphore oder der Keule her, sondern immer auch in einen breiteren Kontext gedacht. Wer hätte daran gedacht, dass die Expedition zum Nordpol erst konkret geplant und in Angriff genommen werden konnte, als die Versorgung mit Lebensmitteln für ein solche spezielles Unterfangen in Form von Konserven sichergestellt werden konnte? Vor der Lektüre dieses so unscheinbaren wie lesenswerten Buches sicherlich niemand.

 

Mythos Mammut

 

Die Erzählung der Menschheit beginnt irgendwann, als man sich schon daran gewöhnt hatte, sich um das Feuer zu versammeln und die gemeinsame Zeit an den wärmenden Flammen zum Garen von Nahrung zu nutzen. In der Glut, auf offener Flamme, oder in mit Wasser gefüllte Gefäße wurde alles geworfen, was zur Hand war und über die Generationen bildete sich ein Wissen darüber, welche Zubereitung für welche Nahrung sinnvoll erschien. Zur Zeit, mit der das Buch anhebt – um 11.000 vor Christus hat die menschliche Entwicklung schon deutlich Formen und Kochgeschichte angenommen. Über einen langen Zeitraum hat das Kochen aus den ehemaligen Primaten Wesen geschaffen, deren Kauapparat sich verkleinert hat, deren Hirnmasse sich aber auf Grund der generationenübergreifenden permanenten Nahrungszufuhr vergrößert hat und die eine artikulierte Sprache entwickelt haben. Mit anderen Worten: Auf Grund der Technik, das Feure nicht nur zu beherrschen, sondern das Kochen zu lernen ist die Menschheit entstanden und mit ihr die menschliche Kultur in Form von Koch-Werkzeugen, Höhlenmalerei und Sprache. Im Buch wird daher die Mammutjagd als Sinnbild genommen, um den Prozess der Menschwerdung im Laufe der Zeiten der Jäger- und Sammler zu beschreiben, es dient als Eingangskapitel, um sich der Zeit der beginnenden Sesshaftigkeit der Menschheit zu widmen: Denn das Feuer besitzt nicht nur die Fähigkeit Rohes in Gekochtes zu verwandeln, sondern darüber hinaus auch den unschätzbaren Vorteil roh nicht verzehrbare Zutaten kulinarisch verwertbar werden zu lassen. Die Menschheit wird mit dem Getreideanbau und der damit verbundenen relativ sicheren Nahrungsquelle sesshaft. Im Laufe der Jahrhunderte werden weitere roh nicht genießbare Pflanzen und Früchte, wie Kartoffel, Maniok oder Reis zu Grundnahrungsmitteln. Doch nicht nur zu Nahrungszubereitung ist die Feuerstelle von Nutzen. Neben der Formung von Waffen dient sie auch dazu die Vorratsgefäße wie Tontöpfe herzustellen. Die Menschheit entwickelt neben der Technik des Kochens nun auch Techniken der Vorratshaltung und entkoppelt sich damit ein wenig vom permanenten Druck der Nahrungsmittelzufuhr. Mit den Tontöpfen gibt es Möglichkeiten das Getreide zu lagern und das Brot etabliert sich als Weiterentwicklung des Getreidebreis. Nach diesen kleinen einleitenden Grüßen von der Feuerstelle ist der Weg bereitet, das Wissen um das Kochen beginnt mit der Schrift und das Buch wird dieses Wissen sammeln, um es in einzelnen Kapiteln wie ein Menü gekonnt zu präsentieren.

 

Sprache – Verwirrung oder Wissen?

 

Babylon steht in unserem kollektiven Gedächtnis für Sprachverwirrung. Unbewusst ist hingegen, warum es zu dieser Verwirrung kam, was also vorher gewusst werden musste, um ein Chaos zu produzieren. Der Turmbau allein reicht lediglich, um Gottes Zorn hervorzurufen, rein weltlich aber muss die Stadt selbst auf seine Bewohner bedrohlich gewirkt haben: Eine solche Fülle an Gebäuden, eine Vielzahl an Leibern hatte die Welt noch nicht gesehen. Doch neben der Sprachverwirrung, die auf Grund der zahlreichen Zureisenden in diese erste Metropole kaum zu vermeiden ist, entsteht eine Neuerung, die in Form eines gedruckten Rezeptes nachgewiesen werden kann: Die Schrift entsteht und mit ihr zugleich eine Norm der Schriftsprache, die naturgemäß alle anderen Sprachen als nicht der Schrift zugehörig definiert. Wer schreibt der bleibt: Die Sprachverwirrung ist von kurzer Dauer, denn die lediglich mündlich vererbten Sprachen marginalisieren sich. Wer Rezepte schreiben kann, vererbt nicht nur das Wissen um das Kochen, er verbreitet es. So, wie es der Archäologische Fund des Rezepts zu Lammeintopf aus Babylon zeigt. Ohne die schriftliche Fixierung hätten wir in der Gegenwart keine Vorstellung davon, was tatsächlich in Babylon gekocht worden ist. Die Sprache mag sich verirren, der Geschmack jedoch lässt sich nicht täuschen. Die Lagerung der Lebensmittel ist zu dieser Zeit, gerade für eine solch große Stadt, längst überlebensnotwendig. Das Wissen darüber schwappt gewissermaßen aus den Kochtöpfen „in“ die Schrift: Es wird in ihr gespeichert

Und allmählich merken wir, welch fundamentaler Schatz in diesem so kleinen Buch vor unseren Augen ausgebreitet wird: Die Geschichte der Menschheit ist nicht nur eine von Krieg und Frieden, sie ist eine von Innovation rund um die Feuerstellen, sei es um Waffen zu schmieden, die Schrift zu verbreiten, oder die Umwelt in verwertbare Nahrung zu verwandeln. Der Rest, der in diesem Bemerkenswerten Buch vorgestellt wird, ist zwar ebenfalls Koch-Geschichte, lässt uns aber die Geschichte der Menschheit in nichts weniger als mit einem neuen Blick sehen und erkennen.

 

Tartuffel, empfiehlt:

Uta Seeburg: Wie isst man ein Mammut? In 50 Gerichten durch die Geschichte der Menschheit. Dumont, Köln 2023, 256 S. geb, 22,00€

 

 

 

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