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Cover des besprochenen Bandes (Ausschnitt) |© Hampp Verlag

Gemüse spielerisch ernst genommen

Klassische Denkmuster aufbrechen und für zukunftsweisende Ideen begeistern. Was in allen Bereichen des Lebens wichtig ist, kann in der Küche und auf den Tellern mit vollem Geschmack für sich sprechen. Auf jeden Fall, wenn jemand seine Ergebnisse so überzeugend präsentiert wie Nils Henkel in seinem neuen Buch.

 

Nils Henkel begeistert mit Flora

Dieses Buch tut gut. In Zeiten der Krise geschrieben, weist es alle Attribute auf, um einer Krise nicht einfach die Stirn zu bieten, sondern weiter zu denken, zu animieren und Entwicklungen von Ideen zu dokumentieren. Dies sowohl in atemberaubenden Kompositionen, detailliert zusammengefassten Grundrezepten, als such in der Struktur des Buches, der Wertigkeit seiner Aufmachung in Wort, Bild und Material. Ein Meilenstein.

Und dazu nichts weniger als ein Buch, dass neu über das Kochen nachdenken lässt. Denn in seiner Vielseitigkeit, Ausgewogenheit und seinem Mut zu innovativen Ideen, zeigt es wie ästhetisch und geschmackvoll eine vegetarische Küche ist, wenn man sie nicht nur ernst nimmt, sondern sie im Laufe der Jahre meisterlich vervollkommnet. So ist ein Buch entstanden, dass ein schönes Portrait seines Autors ist und ein Werk, das man auch in Zukunft als Standard einschätzen wird.

2010 setzt Nils Henkel als frisch gekürter Koch des Jahres und Küchenchef des „Gourmetrestaurants Lerbach“  erste Gemüsegerichte, die noch nicht unbedingt vegetarisch sein mussten, auf die Karte. Für eines der seinerzeit besten Restaurants des Landes ein mutiger, aber auch Maßstäbe setzender Schritt. Denn auch bei aller Innovation, der Standard der gehobenen Sternegastronomie verlangte nach Kaisergranat, Steinbutt, erstklassigem Geflügel und Wild. Die Zeit war noch nicht reif, um vegetarische Menüs anzubieten, eine Erfahrung die auch Michael Hoffmann in Berlin machen musste. Das Verlangen nach tierischen Produkten war derart hoch, dass man als Gast Angst hatte, man würde etwas verpassen, wenn dieses Bedürfnis nicht gestillt würde. Aber, wie Michael Hofmann erkannte Nils Henkel die allmählich zunehmende Beachtung einer durchdachten Gemüseküche, die er im Laufe der Jahre vegetarisch verfeinern und aromatisch verdichten konnte.

 

Der Geschmack der Protagonisten

Das vorliegende Ergebnis ist nicht einfach eine Ansammlung von Gemüsegerichten, sondern an Kompositionen, angeregt durch den Geschmack der Protagonisten. Gemüse wird hier eine Bühne bereitet, um in neuen Zusammenhängen und Darreichungsformen auf den Tellern zu glänzen. Unter dem unscheinbaren Titel „Grünkohlsalat“ wird Grünkohl in unterschiedliche Aggregatzustände von Fond, Emulsion bis Frittiert und Sphäre gebracht, um sein gesamtes aromatisches Spektrum demonstrieren zu können. Die übrigen Komponenten auf dem Teller sind mit Maronen, Sanddorn und Knollenzest – beispielgebend für alle Rezepte in diesem Buch – keine Dekoration, sondern geschmacklich abgestimmte Komponenten, um Kontrast und Harmonie erzeugen zu können. In anderen Gerichten, wie etwa seiner „Roten Bete“, oder „Rübstiel“ zeigt er, wie er Klassiker mit einfacher Zubereitung auf ein neues aromatisches Niveau zu bringen versteht, oder Gemüse wie die „Sonnenblume“ für die gehobene Küche gewinnt. In einigen Gerichten, wie bei der „Wassermelone“ hinwiederum erschließt sich dem Leser die Arbeit an den Lebensmitteln durch die neu gewonnene Textur auf dem Teller ganz intuitiv, ohne dass der Autor viele Worte verlieren müsste.

Auch dies ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst des Buches: Aufbau, Wortwahl und Zuordnung von Zutaten, Zubereitung und Rezeptbild sind stehts so gewählt, dass jeder einzelne Arbeitsschritt ins Auge fällt und keiner besonderen Erklärung bedarf, der Koch überlässt den Rezepten die Bühne, die Teller sprechen für sich.

Gleiches gilt für die süßen Rezepte, die im Unterschied zur Assoziation der Überschrift stets florale mit süßen Noten verbinden und einen Ausgleich in andere Geschmacksrichtungen anstreben, grüner Tee oder Chicorée sind hier keine Exoten, sondern gleichberechtigte Mitspieler. Das dieses Buch mit einem umfassenden Rezeptteil von 200 vielseitig einzusetzenden Grundrezepten abschließt, macht es für jedes Küchenregal noch unentbehrlicher als der Verweis, dass man die meisten Komponenten in den Rezepten problemlos als Solisten für andere Zusammenhänge zubereiten kann.

Kein Wunder, dass „Flora“ in diesem Jahr von der Jury des literarischen Wettbewerbs als bestes Buch bewertet wurde und im Rahmen der Preisverleihung zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse mit der Goldmedaille ausgezeichnet wird. Glückwunsch an Nils Henkel und allen an diesem Buch Beteiligten.

Tartuffel empfiehlt:

Nils Henkel: Flora, Hampp Verlag Freiburg 2021, 320 Seiten, geb., 95,00€

 

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