Geschichten kulinarischer Küchenklassiker
Tartuffel:
„Was hat dein Interesse am Kochen geweckt?“
Ira Schneider:
„Meine Großeltern mütterlicherseits hatten einen Obstbaubetrieb. Von den ersten Kirschen im Frühsommer bis hin zu den späten Apfelsorten im Herbst sind meine Geschwister und ich immer mit in der der Plantage gewesen. Mich kitzelt es auch heute noch in den Fingern und ich muss im Herbst raus, um Obst zu ernten. Dass scheint von Kindheitsbeinen an tief in mir verwurzelt zu sein. In der Landwirtschaft meiner Großeltern habe ich schon früh gelernt, Naturprodukte wertzuschätzen und auch schmackhaft zu verarbeiten. Denn ich habe ja gesehen, wie hart und wie lange man für eine gute Ernte arbeiten muss.
Kochen ist – im Gegensatz zum Backen - für mich allerdings eher ein Ding des Alltags. Abgesehen vom Essen mit Freunden hat Kochen für mich etwas mit der täglichen Grundversorgung zu tun. Backen aber ist etwas Besonderes, etwas, auf das man sich am Wochenende freut und für das man sich Zeit nimmt. Beim Backen bin ich kreativer, es ist für mich eher eine Kür.“
Tartuffel:
„Wie kamst du zum kulinarischen Schreiben?“
Ira Schneider:
„Ich habe immer schon gerne gekocht und gebacken - wie meine Mutter und meine Großmütter übrigens auch. Meine Schulzeit habe ich auf einem Mädchengymnasium verbracht, wo auch Hauswirtschaft unterrichtet wurde. Und so kam ich in den Genuss, alle zwei Wochen vier Stunden Praxisunterricht absolvieren zu können. Hier haben wir viel mit Hefe gearbeitet und ich denke, es liegt an dieser Erfahrung, dass gerade Hefeteig für mich wie selbstverständlich zum Backen dazugehört. Einen Teig zu fertigen, ist Handarbeit und ich finde, das Wirken mit der Materie ist eine wirklich sinnliche Sache. Das macht nicht nur Spaß, es entschleunigt und holt einen so richtig aus dem Alltag heraus.
Mit der Zeit hat es sich ergeben, dass ich Kochen, Backen, Schreiben und Fotografieren zu einem Beruf vereint habe. Aber natürlich kam das nicht von heute auf morgen. Ich habe Literaturwissenschaften studiert und dann hat mir ein Presse-Volontariat den Einstieg in die Kulinarik gebracht. Heute schreibe ich nicht nur über Lebensmittel, sondern entwickele und teste auch Rezepte für Kunden. Zum Fotografieren kam ich eher zufällig, weil viele Redaktionen, als ich dann selbständig arbeitete, auch Bilder zur Story anforderten. Inzwischen ist das Fotografieren sogar eine große Leidenschaft von mir.“
Tartuffel
„Küchenklassiker – was verstehst du darunter?“
Ira Schneider:
„Fotografisch: Ich möchte die Rezepte authentisch nachkochen und ein schönes, appetitliches Foto vom Klassiker machen.
Kulinarisch: In den einzelnen Regionen, die ich für die Küchenklassiker besuche, kann man wiederholt feststellen, dass es eine Anzahl von Speisen gibt, die von Befragten immer wieder als typisch für die jeweilige Region genannt wird. Das sind zumeist Rezepturen und Macharten, die auch heute noch beliebt sind oder aber aus Kindheitserinnerungen stammen.“
Tartuffel:
„Welche Ideen verfolgst du bei der Recherche?“
Ira Schneider:
„Mein Ziel ist es, regionale Küchenschätze aufzuspüren und zu dokumentieren. Es wäre zu schade, wenn sie mit der Zeit verloren gingen. Die Recherche ist bei einer fremden Region in der Tat nicht so einfach. Man fährt also raus und schaut, was es auf den Speisekarten, auf Volksfesten und auf Märkten zu essen gibt. Und über mein Netzwerk bei den Landfrauen und bei Slow Food bekomme ich dann auch Kontakte zu engagierten Gastronomen. Gerade Köche und Köchinnen aus alteingesessenen Landgasthöfen habe ich sehr gerne als Interviewpartner, ebenso wie ältere Menschen, die mir als kulinarische versierte Urgesteine der Region genannt werden."
Tartuffel:
„Welche Geschichten erzählen die Rezepte?“
Ira Schneider:
„Viele Rezepte geben nicht nur Auskunft über die landschaftlichen Gegebenheiten und Verfügbarkeiten von Zutaten in einer Region, sondern erzählen auch ein Stück Kulturgeschichte. Für das aktuelle Backbuch habe ich zu vielen Gebäcken historische Bezüge recherchieren können. Meine Lieblingsgeschichte ist die von der Burger Brezel, einer dem Zwieback ähnlichen, kunstvoll geschlungenen Spezialität aus Burg an der Wupper. Ich bin vor einigen Jahren zufällig über eine Reportage zur Zwieback-Bäckerei Hösterey nach Wuppertal geraten. In deren Familienchronik befinden sich unter anderem Dankeschreiben des letzten deutschen Kaisers für prompte Zwieback Lieferungen. Trotz alten und noch älteren Dokumenten wie diesen weiß man allerdings bis heute nicht, wo der Ursprung der Brezel ist. Einer Legende nach soll ein französischer Soldat, der von einem Vorfahren des Wuppertaler Bäckers gesund gepflegt wurde, das Rezept um 1795 nach Burg an die Wupper mitgebracht haben. Natürlich gehe ich auch auf die Bergische Kaffeetafel ein, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingebürgert hat. Über holländische Händler bezog man in früheren Zeiten nicht nur die typische Kranenkaffeekanne aus Zinn, sondern auch Kaffee, Reis und Zimt. Diese Zutaten aus den niederländischen Kolonien verliehen der Bergischen Kaffeetafel einen Hauch Exotik, den man gerne zu Festtagen auf den Tisch brachte. Bis heute hält sich der Brauch, das sogenannte „Koffiedrenken met allem dröm un dran“ als Zeichen der besonderen bergischen Gastfreundschaft zu zelebrieren.“
Tartuffel:
„Ira, vielen Dank für das anregende Gespräch“
Tartuffel empfiehlt die gesamten Küchenklassiker und das gerade erschienene Küchenklassiker Backbuch der geschätzten Kollegin Ira Schneider.
Hier geht es zum Rezept "Saftiges Kartoffelbrot" aus dem besprochenen Küchenklassiker-Backbuch.