Italien ohne Pasta!
Gehen wir einmal zurück und die Ahnenreihe der Küchenrevolutionäre durch: René Redzepi mit seinem Konzept der Neuen nordischen Küche, die molekulare Küche, die eine Verwissenschaftlichung der Kochkunst nach sich zieht, das deutsche Küchenwunder um Eckart Witzigmann und Wolfram Siebeck, dass wie die Nouvelle Cuisine zehn Jahre zuvor weniger eine Revolution als eine Rückbesinnung auf marktfrische, regionale darstellte. Und davor? War irgendwann Escoffier. Der Schutt des zweiten Weltkriegs scheint die kulinarischen Ereignisse der 20er Jahre unter sich begraben zu haben. Wie gut also, dass nun dieses engagierte Buch vorliegt.
Es sind in der Tat keine normalen Forderungen, die hier gegen die etablierte bürgerliche Küche erhoben wurden: Italien ohne Pasta, Wiener Küche ohne Mehlspeisen, Böhmen ohne Knödel und deutsches Konditorenhandwerk ohne Zucker? Wer solche Forderungen stellt, der gehört wohl zu Recht dem kollektiven Gedächtnis entzogen. Oder sind die Zuspitzungen verfälschend?
In aufklärender Weise geht der Wiener Literaturwissenschaftler Walter Schübler - der im vergangenen Jahr die bemerkenswerte Sammlung feuilletonistischer Artikel und Kommentare zur Esskultur eben jener Zeit vorgelegt hat – an die Sache heran. Denn kein Revoluzzer, der im kulinarischen Sinne etwas auf sich hält, fordert ohne gute Gründe scheinbar unmögliches. Was also ist dran am den Forderungen und wer waren die Personen, die sie aussprachen? Was waren die Gründe und welches die Ergebnisse ihrer Arbeiten? Auf den ersten Blick könnte man sagen: Ihre Forderungen waren so absurd, dass sie keinerlei Niederschlag gefunden haben. Doch so einfach liegt die Sache nicht und es lässt sich eine Menge aus diesem klug editierten schmalen Band lernen.
Weg mit der Pasta!
Wer, zumal in Italien, einen solchen Schlachtruf ausstößt, kann sich einer Reaktion sicher sein. Besonders, wenn ihr Verfasser zur Zeit der Veröffentlichung Mitglied der Wissenschaften und der Künste und damit ein führender kultureller Repräsentant des italienischen Faschismus ist.
Filippo Tomasi Marinetti hatte eine große Leidenschaft: Zeit seines Lebens wollte er von sich reden machen. Zunächst kokettierte er mit der extremen Linken, um dann – der Zeitgeist winkte dem Opportunisten – mit wehenden Fahnen zu den Faschisten zu wechseln. Was ihm inhaltlich nicht schwer fiel, denn schon in seinem 1909 erschienen futuristischen Manifest macht er kein Hehl aus seiner Vergötterung des Krieges, des Militarismus und Patriotismus: Für ihn sind es die schönen Ideen, für die man stirbt. Während er zu dieser Zeit die Frauen verachtet und die Museen, Bibliotheken und Akademien am liebsten zerstört sehen möchte. Was so klingt wie Trumpismus im Klartext, wird ihm für eine Karriere im Faschismus reichen. Hier sagt er der Verweichlung der männlichen Bevölkerung den Kampf an. Dabei geht es im in erster Linie darum, die Körperfülle zu vermeiden und also der italienischen Mehlspeise schlechthin den Kampf zu erklären: Denn im Unterschied zu Brot und Reis ist die Pasta eine Nahrung, die man hinterschlingt, aber nicht kaut. Daraus leitet sich Schlappheit und Untätigkeit ab. Außerdem ist die Pasta „unmenschlich, weil der beschwerte und beengte Magen niemals der physischen Begeisterung für die Frau und der Möglichkeit sie geradewegs zu besitzen, förderlich ist.“ Dass Pasta glücklich macht, muss eine Erkenntnis aus jüngerer Zeit sein. Doch natürlich regt sich Widerstand gegen diesen Mann, der in der Spaghetti eine „absurde Religion der italienischen Gastronomie“ meint erkennen zu können. Auch, wenn Mussolini ihm attestiert, wird die Pasta nicht nur in Italien bleiben, sondern nach dem Ende des Faschismus ihren Siegeszug um die ganze Welt antreten.
Geh scheißen!
Wir schreiben den 19.02.1927. Im Festsaal des Niederösterreichischen Gewerbevereins mitten in Wien, erster Bezirk hat Adolf Loos gerade seinen zweistündigen Vortrag mit dem Titel „Wiener Küche – französische Küche“ unter Gezischel und Gemurmel – man weiß sich in bürgerlicher Pflicht sich dem Festsaal angemessen zu benehmen und den Vortragenden nicht niederzubrüllen, oder aus dem Saal zu zerren – zu Ende gebracht. Die Rede war frei gehalten, ihren Inhalt kann man aber rekonstruieren, da er nicht nur die Köchinnen und Köche, sondern das gesamte Publikum gegen sich aufgebracht hat. Es wird ein breites mediales Echo auf die Rede geben – denn nicht ungestraft redet man davon, dass die Wiener Küche die schlechteste der Welt sei, die sich seit zweihundert Jahren nicht entwickelt habe, zumal der Wiener nicht zur Nahrungsaufnahme esse, sondern um eines Tages zu platzen. Na, servus, kann man da auch hundert Jahre später denken. Doch dem Redner geht es weniger um die Provokation – die er zweifellos anstrebt, um seinen Thesen ein mediales Echo zu verleihen – als um Aufrüttlung im gesundheitlichen Sinne. Ihm sind die Gerichte zu schwer, zu einfach, die Wiener sind so sehr an Mehlspeisen gewöhnt, dass ihnen gar nicht mehr auffällt, dass ihnen die puren Produkte wie Austern oder Seefisch gar nicht mehr munden. Die Franzosen hingegen, verbringen ihre Zeit bei mehreren Gängen, erfrischen sich an wenigen Schlucken Wein stehen – im Unterschied zu den erschöpften Wiener Essern – erfrischt und restauriert nach der Mahlzeit wieder auf. Mit anderen Worten: Loos begeht den kapitalen Fehler, den Stolz der Wiener auf ihre traditionelle Küche zu unterminieren. Noch schlimmer: Er bringt die Esskultur der verhassten Franzosen dafür in Stellung und wähnt sich durch gesundheitliche Argumente dazu noch im Recht. Im Nachhinein kann er froh sein, dass er nicht durch Germknödel vom Rednerpult gemehlspeist wurde.
Ähnlich ergeht es Ladislav Procházka, tschechoslowakischer Gesundheitsminister, als er den Versuch unternahm, seinen Landsleuten die Knödel auszutreiben. Gesundheitliche Argumente allein erregen Unmut, wenn es um die mit der Muttermilch aufgesogenen Esstraditionen geht. Der Magen ist halt empfindlicher als Herz und Verstand.
Form follows Function - Klarheit und Sachlichkeit: Torten im Konzept des Bauhauses
Bernhard Lamprecht war ein unter Kollegen geachteter deutscher Konditor, sowie Gründer und erster Direktor der von 1927 bis 2004 bestehenden Bundesfachschule für das Konditorhandwerk. Es gibt eine Zeit vor und eine seit Bernhard Lamprecht. Nach Abitur und Lehre im väterlichen Konditorenbetriebs, sucht er nach Antworten, die das neu aufziehende Bauhaus in seinen Augen vom Konditorenhandwerk verlangt. Bisher hat sich niemand mit den daraus resultierenden Fragen, geschweige denn mit fachgerechten Umsetzungen in Tortenform Gedanken gemacht. Das wird sich durch ihn ändern. 1927 wird er im Rahmen seiner Tätigkeit als Ausbilder Antworten präsentieren. Mit Erfolg. Schon zwei Jahre später wird jeder 10. Auszubildende aus dem Ausland kommen, denn seine innovativen Ideen sprechen sich auch jenseits der Fachgrenzen herum. Klarheit und Sachlichkeit herrscht nun auch bei der Gestaltung von Torten. Ein neuer Stil, der auch in Wien Beachtung findet. Lamprecht wird eingeladen, Präsentationen und Fachkurse zu halten. Denn die neue Sachlichkeit wird nicht nur zur neuen Kunst im Konditorenbereich erhoben, sie ist zugleich auch wesentlich rationeller, als die herkömmliche Patisserie mit ihren Verliebtheit in ausschweifendes Dekor. Gute Proportionen siegen über ausufernden Zierrat. Die Sachertorte erhält ihr Design. Man sollte den Ideen der Zeit offen gegenüberstehen – in allen kulinarischen Bereichen.
Tartuffel empfiehlt:
Walter Schübler: Küchenrevoluzzer. Atelier Verlag, Wien 2025, 140 Seiten, geb., 26,99€
Ders.: Vom Essen zwischen den Kriegen. Atelier Verlag Wien 2024, 360 Seiten, geb., 35,00€