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Sven Elverfeld | © Luzia Ellert / Collection Rolf Heyne

Sven Elverfeld

Das Buch von Sven Elverfeld dokumentiert nicht nur die kulinarischen Kompositionen des Meisters aus Wolfsburg, es zeigt neue Möglichkeiten auf: für Profi- und Hobbyköche sowie für begeisterungsfähige Leser.

Umsichtig mit dem Produkt – großartig in der Komposition

Hand aufs Herz: Was fällt ihnen zu Wolfsburg ein? Autostadt! Wolfsburg ist fest in der Hand des riesigen Autokonzerns, selbst der lokal ansässige Fußballverein wird von den mächtigen Automobilherstellern protegiert und kontrolliert.

 

Aber es gibt noch etwas anderes in Wolfsburg: Das „Aqua“ im Ritz-Carlton und seinen virtuosen Meister Sven Elverfeld. Als Spitzenkoch steht man unweigerlich vor einer schwierigen Aufgabe, wenn man sich daran macht, ein Kochbuch zu entwerfen. Denn wie soll man die Neuerungen der vergangenen Jahre dokumentieren? Wie sich von den unzähligen Kochbüchern absetzen und wie ein Zielpublikum, das größer ist als die bisherige Schar der Gäste, ansprechen und begeistern?

Joachim Wissler hat im vergangenen Jahr mit „JW4“ seine Antwort auf das Problem gegeben. Er setzt auf Ästhetik und die Erklärung seiner Ansätze. Dafür verzichtet sein sehr umfangreiches Buch komplett auf ein Rezeptverzeichnis und liefert stattdessen einen intermedialen Ansatz: Jeder Käufer des Buches bekommt einen Code, mit dem er sich im Internet in die Datenbank des Restaurants einloggen kann, um die aktuellen Veränderungen in der Kochkunst dieses ruhigen Genies mitzuerleben.

So hatte Sven Elverfeld, ebenfalls mit drei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnet, eine Vorlage und Herausforderung zugleich. Seine Interpretation fällt vielschichtig und mit einer starken persönlichen Signatur aus. Beginnen wir, jenseits der Gerichte in der Küche oder auf dem Teller, mit dem Buch als Buch. Was erwartet den Leser?

Zunächst die naheliegende und doch überraschende Erkenntnis, dass ein Mensch mit solch komplexen Kompositionen, wie Elverfeld sie in diesem Buch in enormer Anzahl entwickelt, der Muße bedarf, um seine Ideen zu entwickeln. Fernab des langen Arbeitstages kommen die Ideen, wenn der Kopf frei von der alltäglichen Anspannung ist, wenn sich erst der Raum eröffnet, um einer Idee ihre Entwicklung zu gönnen. Der Rest , so Elverfeld, basiere auf harter Arbeit und einem breit gefächertem Erfahrungsschatz gepaart mit dem Ansatz, neue Kombinationen auch strukturell grundsätzlich neu auszuprobieren.

Genau diese Muße erwartet Elverfeld auch vom Leser. Jedoch wird er wird nicht mit einem neuen Kochbuch konfrontiert, seine Lesegewohnheiten werden einfach strukturell aufgebrochen. Diesem Stilmittel folgend sollten wir jenseits des Inhalts mit der Präsentation beginnen. Denn das Buch selbst wird zu einem vielseitigen Tablett, mit dessen Hilfe Lust auf Neues geschmackvoll vorgeführt wird.

Kochbuch – neu gedacht

Die Dekonstruktion, die Zerlegung eines bekannten Gerichtes und seine neue Zusammensetzung auf einem technisch hohen Niveau, zeichnet die hohe Kunst eines Meisterkochs aus. Dieses Kochbuch dekonstruiert nun das Genre des Kochbuchs selbst  und man kann es vorweg verraten: Aufbau, Stil und Gestaltung des Buches haben eine Auszeichnung verdient. Denn es interpretiert die Einzelteile, aus denen ein Kochbuch für gewöhnlich besteht, ganz neu. Das Buch zeigt mit und auf über 500 großformatigen Seiten, dass es sich Raum nehmen möchte.

Schon das Titelbild ist ansprechend reduziert. Wir sehen den Titel und dazu drei rote Scheiben auf weißem Grund und wissen noch nicht, ob es sich hier um ein Koch- oder Kunstbuch handeln soll. Dieses Spannungsfeld zwischen den Polen Kochen und Kunst ist auf allen Seiten spürbar. Dabei wird das Umfeld nicht aus dem Blick gelassen. Die Autostadt und die direkte Umgebung des Restaurants werden in stimmungsvollen Bildern präsentiert. Die Komponenten der Gerichte werden beschrieben und abgelichtet, bevor die Komposition als Ganzes in den Fokus der Betrachtung gerät. Durch die Reduktion der Rezeptbeschreibung rückt der Leser in die Lage, sich selber zu überlegen, wie die Zwischenräume der Beschreibung auszufüllen sind. Und schon ist er Teil dieses Elverfeldschen Universums: betrachtet die einzelnen Snacks, die Komponenten eines Tellers, bevor er das Zusammenspiel dieser Komponenten erblickt und bewundert.

Dabei hat Elverfeld in Luzia Ellert die perfekte Fotografin für seine Gerichte gefunden. Der weiße Untergrund, auf welchem die Gerichte abgebildet sind, verleiht ihnen eine fast unendlich wirkende schwerelose Eleganz. Hier steht das fertige Produkt für sich und erst in einem zweiten Schritt für seine Umgebung, die Küche und die Personen, denen es seine Entstehung verdankt.

Nachhaltigkeit ist große Küche

In mehreren Elverfeldschen Kompositionen erkennt man eine Referenz an Dieter Müller. Kein Wunder, war doch die von Dieter Müller geleitete Küche des Schlosshotels Lerbach, wo Sven Elverfeld als Chef de Partie drei Jahre lang lernte und agierte, eine wichtige Station für den Koch.

Das Buch ist noch in einem weiteren Aspekt sehr interessant. Man sollte nicht vermuten, dass einer der besten Köche unseres Landes in einem solch aufwändig gestalteten und inhaltlich umfassenden Werk Wert auf Nachhaltigkeit legt. Zum einem variiert Elverfeld Kompositionen, die man in der Spitzengastronomie so nicht erwartet und sicherlich nur selten antrifft. Um nur ein Beispiel zu nennen, möchte ich hier den Rochenflügel hervorheben. Der Fisch findet keinen rechten Zugang zu den Spitzenküchen, da sein Fleisch als eher tranig wahrgenommen wird. Elverfeld aber zeigt mit seinem Gericht, dass man diesen Fisch durch eine überraschende Kombination mit Wassermelone – ein weiteres Produkt, das man eher beim Picknick als in einem Gourmetrestaurant erwartet – und mariniertem Fenchel Frische verleihen kann.

Darüber hinaus zeichnen sich seine Gerichte oft durch die Liebe zum Produkt aus. Immer wieder zeigt Elverfeld, wie man aus alltäglichen Lebensmitteln erstaunliche Gerichte bereiten kann. Wer würde auf Grund seiner Alltagserfahrung davon ausgehen, dass Knollensellerie über eine ausgesprochene Ästhetik verfügt? Elverfeld zeigt, dass ein solches Produkt, wenn es durch seine Hände wandert, eine zeitlose Schönheit gewinnt. Nicht umsonst ziert die Elverfeldsche Variante des Knollenselleries die Titelseite seines Buches.

Regionale Produkte und traditionelle Gerichte in neuer Interpretation

Neben den teuren Produkten wie Austern und Trüffeln legt Elverfeld Wert darauf, regionale Produkte zur Grundlage seines Kochverständnisses zu machen. Dabei findet der Leser überraschende Anregungen auch für seinen Hausgebrauch. So werden auch traditionelle Klassiker wie das Jägerschnitzel – normalerweise als der Inbegriff einer Raststättenküche verpönt – hier in einer großartigen Variante vorgestellt.

Schon 2009 beschrieb Joachim Wissler im „Journal Culinaire“ die Schwarzwälder Kirschtorte als deutsches gastronomisches Kulturgut mit internationalem Bekanntheitsgrad und lieferte seine Neuinterpretation gleich mit. Ganz, als hätte dies Sven Elverfeld inspiriert, überrascht er in seinem Buch mit einer völlig neuen Komposition vom Schwarwälderkirschbaum. Wie das geht? Schauen sie ins Buch. Es ist ein Buch, das Maßstäbe setzt und sich nicht nur an den Profi und interessierten Laien richtet. Es ist ein Lesevergnügen für alle mit Muße und sinnlicher Entdeckerlust.

Für Sie gelesen:
Sven Elverfeld. Collection Rolf Heyne, München 2011
Buchdesign, Layout und Satz: Wolfgang Seidl
Fotografie: Luzia Ellert (Portraits: Christa Engstler)

Bei amazon zu erwerben

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