Balzac
Der Meister des Realismus und die Geburt der Cuisine Française
Honoré de Balzac zeichnete sich durch ein ungewöhnlich hohes Maß an Disziplin sowie dem Hang zur hemmungslosen Prasserei gleichermaßen aus. In jungen Jahren überredete er seinen Vater, ihn das Leben eines Schriftstellers führen zu lassen. Der Vater erklärte sich bereit, seinen Sohn mit einem sparsamen Betrag für zwei Jahre zu unterstützen. Balzac begann darauf hin zu schreiben und führte während dieser Zeit ein recht bescheidenes, wenn nicht sogar karges Leben. Er ernährte sich von Käse, Wein und Nüssen. Sein einziger kulinarischer Luxus bestand im regelmäßigen Genuss von Kaffee – eine Leidenschaft, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Balzac galt bald als der Mensch mit dem höchsten Kaffeekonsum seiner Umgebung. Er selbst schrieb dem Kaffee die Eigenschaft zu, ihn seine Gedanken beim Schreiben klarer fassen zu lassen. Wie zum Beleg bewältigte Balzac ein Schreibpensum von bis zu 18 Stunden am Tag.
Die höfische Küche hält Einzug in Paris
Vielleicht sind es die Entbehrungen dieser ersten Jahre als Schriftsteller, die Balzac literarischen Blick immer wieder auf Restaurants, Gerichte, den Genuss und die Prasserei werfen lassen. Ganz sicher aber sind es die umwerfenden kulinarischen Veränderungen in Paris, die sich darin spiegeln. Exakt dieses Spannungsfeld dient Anka Muhlstein als Grundlage, um in ihrem so umsichtigen wie informativen Buch „Die Austern des Monsieur Balzac“, die Fragen der Kulinaristik ins Zentrum von Balzacs Werk zu rücken.
Nachdem die französische Küche, insbesondere Ihre Art des Menüs, im vergangenen Jahr zum immateriellen Weltkulturerbe avancierte, sollte man sich vergegenwärtigen, welche tiefgreifenden kulinarischen Veränderungen in der Zeit zwischen 1780 und 1830 in Frankreich vonstatten gingen. Denn erst mit und vor allem im Zuge der Revolution lernte ganz Frankreich das gute Essen. Zuvor war die höfische Kultur der exquisiten Tafelfreuden lediglich adeligen Gesellschaften und betuchten Bürgern vorbehalten. Englische Reisende aus dem 18. Jahrhundert beschwerten sich in ihren Briefen in die Heimat darüber, wie grauenvoll die Kost sei, die ihnen in der Herberge in großen Schüsseln für einen gesamten Tisch serviert wurde. Vor der Revolution war ein Reisender in Frankreich noch auf das angewiesen, was einem gereicht wurde, und das waren in der Regel karge Gerichte, die lediglich das nagende Gefühl des Hungers beseitigen konnten.
Mit der Revolution ändert sich auch auf kulinarischem Gebiet die Verhältnisse: Die ehemals höfischen Köche suchen neue Möglichkeiten ihren Beruf zu praktizieren und eröffnen, zunächst vor allem in Paris, ihre Restaurants, in denen sie eine Auswahl von Gerichten anbieten. Das ist die Geburtsstunde des Französischen-Menüs, wie wir es in etwa heute noch kennen. Brillat-Savarin feiert mit seiner Betrachtung über die „Physiologie des Geschmacks“ 1826 einen sensationellen Erfolg. Mit dem Ausbau des Wegenetzes und der Eisenbahn erreichen endlich auch Meeresfrüchte die Hauptstadt. Innerhalb einer Generation ändert sich die Ernährung der Franzosen grundlegend. Frankreich wird zur Heimat der hohen Kochkunst, und es ist Balzac, der ihr als erster dichterischen Ruhm verleiht.
Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts interessierte man sich nicht dafür, was die Menschen in den Romanen zu sich nahmen. Als das Bürgertum jedoch beginnt, aus Gründen des Prestige zu einer möglichst abwechslungsreichen und üppigen Tafel einzuladen, wird es für den Schriftsteller spannend, eine Romanfigur nicht nur über den Charakter oder ihre Kleidung zu beschreiben, sondern auch anhand der kulinarischen Details: In welchem Restaurant verkehrt sie? Geht sie vielleicht in ein einfaches Speiselokal? Wie gut ist die Suppe? Wie sauber das Tischtuch? Welche Weine werden den Gästen zu welchen Gerichten gereicht? In dieser Hinsicht kann man die „Menschliche Komödie“ auch als eine Sittenstudie entlang der Küchen und der Speisen beschreiben.
Stil und Prasserei
Nichts geringeres unternimmt Anaka Muhlstein in ihrem Buch. Dabei scheucht sie den Leser nicht durch eine Aneinanderreihung von Lektüreerlebnisse, sondern verwebt Leben und Romanwerk Balzacs kunstvoll mit dem zu dieser Zeit entstehenden, ungebremsten Interesse an kulinarischen Gegebenheiten. Ein wiederkehrendes Stereotyp findet sich in Balzacs Werken trotz aller Vielfalt dennoch: Es gibt den Genießer und den Schlinger. Letzterer wird in den Romanen nicht gerade liebevoll gezeichnet. Balzac selbst hat einen Hang zu beiden Wesenszügen. Er ist, besonders während er arbeitet, sehr sparsam und nimmt kaum etwas zu sich. Ist der Arbeitstag jedoch zu Ende, oder ein Buch fertig gestellt, dann ist dies für ihn ein Grund zur kulinarischen Verschwendung. Austern werden en gros gegessen, Wein in Strömen getrunken, dazu gibt es Pasteten, Wild und Geflügel. Birnen – für die er eine besondere Vorliebe entwickelt – verschlingt er gleich im Dutzend.
Dazu liebt Balzac den Besuch der besten Restaurants der Stadt. Er ist ein gern gesehener Gast. Denn nicht nur, dass er seinen Appetit nicht zügeln möchte, er macht es sich zur Angewohnheit, ein üppiges Trinkgeld zu geben und lässt die Rechnung anschließend direkt an seinen Verleger schicken. Darüber hinaus entdeckt Balzac die besonderen Vorzüge, die ein Restaurant einem Schriftsteller bieten: An diesem besonderen Ort vermischen sich die Unterschiede zwischen den Menschen, hier kann man die Gäste beobachten, sowie deren Gespräche belauschen. Zugleich kann man schriftstellerisch die reichhaltige Palette der Speisen verwenden, um das Personal der Romane zu charakterisieren. Balzac liefert uns eine regelrechte Reportage der gastronomischen und damit auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit seiner Zeit. In der „Menschlichen Komödie“ nennt er über vierzig Restaurants, quer über Paris verteilt und erstellt so den ersten literarischen Gastronomieführer der französischen Hauptstadt.
„Mit Balzac“ schreibt Muhlstein „hält das Essen in seiner ganzen Vielfalt Einzug in die Literatur. In seinem Gefolge haben Flaubert, Zola, Maupaussant und dann Proust ihrem Appetit freien Lauf gelassen.“ In dieser kleinen Passage erkennt man, welche Möglichkeiten Balzac der Literatur seiner Nachwelt eröffnet hat und welche Erkenntnisse uns Muhlsteins Blick auf Balzac eröffnet. Mit ihrer Hilfe erkennen wir den Beginn dessen, was jetzt von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt worden ist: Die Französische Küche mit ihrem Reichtum und ihrer Raffinesse, die dazu einlädt sich Zeit zu nehmen, um über sie zu sprechen, um sie so mit allen Sinnen zu genießen.
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