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Wein kann nicht nur Wahrheit erzählen, sondern auch eine Menge Lebensweisheit mitteilen

Vom Scheitern zum Genuss

Winzer zu sein, über Wein Kritiken zu schreiben und ihn zu genießen sind unterschiedliche Praktiken, die nicht unbedingt miteinander in Verbindung gebracht werden. Carsten Henn – Schriftsteller, Weinkenner und Restaurantkritiker – erzählt von diesen Praktiken und verwandelt persönliches Scheitern in große Kunst.

Der Mann, der auf einen Hügel stieg, bereichert die Weinwelt

Scheitern? Ja. Es kommt nicht darauf an, keine Fehler zu machen. Es kommt darauf an, aus ihnen zu lernen. Um Dinge anders zu machen, manches Mal besser, manches Mal, um andere Fehler zu machen. Manches Mal, um Sichtweisen, Einschätzungen, Pläne, oder gar Lebensentwürfe zu verändern.

Als Schriftsteller, aber auch als Winzer arbeitet man im besten Falle am Kulturgut Genuss. Was aber macht einen guten Text, was einen guten Wein aus? Gibt es verlässliche Kriterien? Sicherlich. Wenn man gescheitert ist, weiß man, dass man etwas falsch gemacht hat. Gibt es aber das Rezept dem Scheitern mit seinem Gegenteil zu begegnen? Und was genau ist das? Erfolg? Vielleicht. Das Verständnis anderer Menschen? Ihr Geschmack? Die indirekte Kommunikation – wie die eines Kochs mit seinem Gast?

Eine Fülle von Voraussetzungen, Zutaten und Techniken kann zum Einsatz kommen. Aber erst ihr gelungenes Zusammenspiel kann zu etwas führen, das als einzigartiger Genuss in Erinnerung bleibt. Letztlich geht es hierbei um eine gelungene Kommunikation. Doch das liegt an der Resonanz anderer Menschen zu einer anderen Zeit.

 

Scheitern als Anfang zur Veränderung

 

Wein lädt zu Genuss. Und beseelt von den vielfältigen Genüssen, die Riesling zu bieten hat, beschließt der Autor mit Gleichgesinnten einen kleinen Weinberg an der Mosel zu bewirtschaften. Genuss ist es, was sie verbindet und die Idee, etwas für sie besonders zu erreichen. Das Unternehmen gerät trotz persönlicher Anstrengungen zu einem Fiasko. Die Gründe sind vielseitig – zu viele Ideen, zu viel Eigensinn, zu wenig Zeit im Weinberg. Letztlich aber auch das falsche Verständnis, man könnte fern ab und dann eher nebenbei einen Bezug zum Weinberg, seinen Reben, den Trauben und ihren unterschiedlichen Entwicklungsschritten und ihren aktuellen Bedürfnissen herstellen. Der gewonnene Wein spricht Wahrheit – er ist weit davon entfernt einen Menschen emotional zu berühren, oder gar auf dem Weg zu einem einzigartigen Riesling. Mithin, das Projekt scheitert, man könnte es als abgeschlossen einstufen, den Fall schließen und sich anderen Dingen zuwenden. Und doch gärt es im Autor, als wäre die angerührte Maische noch immer auf der Hefe.

So reift die Jahre in ihm eine Erkenntnis: Als Weinkritiker und Weinliebhaber, der sich seit Jahrzehnten professionell mit Weinen auseinandersetzt, muss er die Perspektive wechseln. Es geht nicht darum, den Wein im Glas zu bewerten, sondern um die Frage, welche Schritte notwendig sind, um ihn mit Finesse und Geschmack ins Glas zu bekommen. Dabei geht es natürlich nicht um einen banalen Wein, sondern um einen emotional berührenden Wein, oder gar um das, was Henn einen GTR – einen „Großen Trockenen Riesling“ nennt.

 

Deklination der Sichtweisen

 

Also macht er sich auf den Weg, um bei unterschiedlichen Winzern des Landes, die Praxis in Weinberg und Keller zu erfahren und zu erfragen. Es wird eine Reise, die ihm zeigt, dass es ganz unterschiedliche Antworten auf seine Frage gibt, so unterschiedlich wie die Winzer und ihre Weine. Und mit der Zeit bemerkt der Autor, dass viele Antworten schon im Wein liegen, man muss ihn nur zum Sprechen bringen. Nun unzternehmen dies die Winzer, die außerordentliche Rieslinge produzieren, sie öffnen sich, um die Fragen des Autors zu beantworten, wie ihre Weine dem Genießer. Es wird eine Reise, die über ein Jahr in Anspruch nimmt, um die unterschiedlichen Prozesse des Weinanbaus und seiner Verarbeitung im Keller in den Blick zu bekommen. Und mit der Zeit wird klar, dass es viele Wege gibt, um beeindruckende Rieslinge zu produzieren, aber bei aller Unterschiedlichkeit, ein paar Dinge eint alle Winzer: Die Leidenschaft zu ihren Reben, ihrem Beruf und ihren Weinen. Und so entsteht – für den Leser erst erkennbar, als die einzelnen Mosaiksteine dieses kleinen, feinen Buches, das die Melancholie des Autors über sein Scheitern in eine Veränderung seiner Blickweise auf Zusammenhänge und das Leben und damit in eine Wendung zum Guten verändern wird – ein wunderbares Buch über die Fragen des Lebens und des Genusses

Und Gemeinsam mit dem Autor lernt der Leser eine oft vergessene Zutat neu zu schätzen: Die Zeit. Für einen großen Wein unverzichtbar – für ein ausgeglichenes Leben mit Zeit für Freund, Familie und Genuss ebenso. Lernen wir vom Wein und aus diesem Buch.

 

Tartuffel empfiehlt:

Carsten Henn: Der Mann, der auf einen Hügel stieg und von einem Weinberg herunterkam. Dumont Verlag, Köln 2022, 224 S., geb., 20,00€

 

 

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