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Big Food

Im Januar 1954 veröffentlichten 448 Tageszeitungen der USA das sogenannte „Frank Statement to Cigarette Smokers“.

Mit der bezahlten Kampagne wandten sich die Chefs der Tabakkonzerne an die amerikanische Öffentlichkeit und versprachen, dass ihre Verantwortung für die Gesundheit der Konsumenten alle anderen Aufgaben überrage. Was hat das mit heutigen Lebensmitteln zu tun?

Thilo Bode seziert die Lebensmittelindustrie

Ziel der Kampagne „Frank Statement to Cigarette Smokers“ war leider nicht, die Gesundheit der Menschen zu fördern.

 

Dann hätten sich die Tabakkonzerne am besten selbst in Rauch aufgelöst. Ziel war vielmehr, wie wir heute, mehr als 56 Jahre nach dieser Veröffentlichung wissen, die Gesundheitsrisiken des Tabakkonsums zu verschleiern.

Auslöser für diese Kampagne waren vorangegangene Medienberichte, die erstmals den Zusammenhang von Zigarettenkonsum und Lungenkrebs thematisierten. Insofern handelten die Tabakkonzerne sehr klug. Stellten sie sich doch mit ihrer breiten Kampagne anscheinend an die Spitze einer Bewegung, die argumentativ nicht mehr aufzuhalten war. Dieses Engagement sicherte ihnen auf lange Zeit – und bis heute ist kein Ende der Tabakindustrie in Sicht – ihren Absatzmarkt und damit ihre Gewinne.

Fett – Der kommende Tabak?

Was aber, wenn wir heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit diesem Blick auf die Lebensmittelkonzernen schauen? Sicherlich, die Kampagnen unserer Tage sind nicht so massiv und sensationell. Stutzig macht hingegen, wie sehr sich die Lebensmittelkonzerne bemühen, immer wieder herauszustellen, dass die von ihnen beworbenen Produkte gesund seien. Und in der Tat: Nach den aufgedeckten Lebensmittelskandalen á la BSE, Analog-Käse, Gammelfleisch oder Dioxin-Eiern ist die Gesundheit neben der Frische das Verkaufsstimulanz für Lebensmittel schlechthin.

Sind aber die als gesund gepriesenen Lebensmittel tatsächlich gesundheitsfördernd? Die Frage ist nicht von der Hand zu weisen, so fragte das angesehene „Fortune Magazin“ schon 2003: Ist Fett der kommende Tabak? Der Artikel sprach damit jene gesundheitlichen Probleme an, die seit Jahren in den modernen Gesellschaften als Ergebnis falscher Ernährung zu verzeichnen sind. 

Dabei ist es nicht einfach ein Problem mangelnder Bewegung, das zu verstärkter Fettleibigkeit führt. Mittlerweile enthalten industriell hergestellte Nahrungsmittel mitunter derartig viele Kalorien, dass man sich gar nicht so viel bewegen kann, um diese einfach abzutrainieren. Die Folgen einer überzuckerten und überfetteten, über Jahrzehnte währenden Fehlernährung werden die Kosten unserer Gesundheitssysteme in neue Höhen treiben. Ein Gegenlenken, sozusagen auf breiter Front, ist dringend geboten.

Uran und Kindernahrung

Thilo Bodes neues Buch „Die Essensfälscher“ eröffnet  diese Debatte nun neu. Es listet jene ganz legalen Tricks auf, mit denen Hersteller und Händler die Verbraucher systematisch beim Einkauf täuschen. Das Buch zeigt anschaulich, wie es die Industrie versteht, sich Wege zu größerem Profit zu ebenen – und dabei nicht nur der Geschmack sondern auch die prinzipielle Frage nach sinnvoller Ernährung auf der Strecke bleiben. Bemerkenswert ist dabei, wie Bode, der nicht nur Foodwatch Gründer ist sondern auch Greenpeace Geschäftsführer in Deutschland war, auch das Problem der Bio-Produkte untersucht. Denn viele dieser Produkte sind eben nicht – wie sie es dem Verbraucher suggerieren – gesünder oder ökologisch nachhaltig hergestellt. So enthalten manche Bio-Kinderriegel ähnlich viel Zucker wie konventionelle Riegel. Wer will seinem Kind noch eine Milchschnitte kaufen, nachdem Bode aufklärt hat, dass diese kleine Mahlzeit für Zwischendurch zu mehr als der Hälfte aus Fett und Zucker besteht?

Die Desinformationsstrategie Nahrungsmittelherstellern ist nicht nur bei Kindernahrung zu beobachten, selbst die Allerkleinsten trifft es. Einer der größten Babynahrungshersteller der Welt, Nestlé, bewirbt seine Babyprodukte mit dem Slogan „Jedes Kind verdient den bestmöglichen Start ins Leben“, warnt aber auf den Flaschenetiketten seiner Premium-Mineralwässer Perrier und San Pellegrino nicht davor, dass diese Getränke ein Gesundheitsrisiko für Babys darstellen, da sie überdurchschnittlich stark mit dem Schwermetall Uran belastet sind. Warum werden hier die Eltern nicht gewarnt, wenn doch jedes Kind laut Konzernangaben den bestmöglichen Start ins Leben verdient?

Wasser in Dosen

Doch auch der ganz normale Wahnsinn kennzeichnet Big Food. Anscheinend bringen die Konzerne alles an den Kunden. Selbst aromatisiertes Wasser in Dosen: Siehe den bekannten Food-Hersteller Escoffier, der zur Vermarktung der „Escoffier Duett Champignon-Creme-Suppe“ gar einen bekannten Fernsehkoch unter Vertrag nahm. Im Regal steht nun eine Suppe in zwei Weißblechdosen, die den Preis einer normalen Tütensuppe um das Drei- bis Vierfache übersteigt. Dabei enthält die eine Dose die normalen Zutaten einer Tütensuppe , also Zusatzstoffe, Aromen und Geschmacksverstärker. Die andere Dose offenbart Spuren von Lauch und ansonsten lediglich aromatisiertes Salzwasser, wird aber als Fond angepriesen.

Die Vermarktung mittels Namen und Konterfei eines bekannten Fernsehkochs suggeriert dem Verbraucher, dass er ein hochwertiges Produkt in Händen halte, das den deutlich höheren Preis wert ist. Hochwertig ist nur der Preis: teuer bezahltes Wasser in Dosen.

Süßes Versprechen

Kein Mensch braucht Zucker. Dennoch sind wir mittlerweile daran gewöhnt, uns das Leben zu versüßen. Im vergangenen Jahrhundert ist der Zuckerverbrauch in den Industriestaaten explodiert. Mittlerweile verzehrt jeder Deutsche im Schnitt 40 Kilogramm Zucker pro Jahr und damit etwa 25 Prozent mehr als noch vor einer Generation. In den USA ist der Zuckerkonsum schon auf 62 Kilogramm pro Kopf gestiegen. Zynisch formuliert: In Europa kann noch nachgezuckert werden. Die Wachstumslogik der Konzerne hat den  zuckertechnischen Entwicklungsbedarf längst entdeckt, und es stört sie wenig, dass Fettleibigkeit ein riesiges gesundheitliches Problem in den modernen Gesellschaften darstellt.

Nach einer Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahr 2007 ist das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren seit den 1990er Jahren um 50 Prozent gestiegen. Zeitgleich nahm die „Alters-Diabetis“ bei Kindern bis 14 Jahren deutlich zu. Schon heute verursachen die Kosten ernährungsbedingter Krankheiten nach Schätzungen der Bundesregierung 70 Milliarden Euro pro Jahr. Die Nahrungsmittelhersteller geben im selben Zeitraum rund 2,8 Milliarden Euro für Werbezwecke aus, davon entfallen alleine auf den Bereich „Schokolade und Zuckerwaren“ satte 600 Millionen Euro.

Dieser Meinungsmacht sollte der Verbraucher das grundsätzliche Diktum des us-amerikanischen Journalisten Michael Pollan entgegensetzen: Kauft Nahrung, keine Lebensmittel und kauft nichts, was eure Oma nicht auch gekannt hätte und Nichts, wirklich gar Nichts was mehr als 5 Zusätze auf der Packung verzeichnet.

Smileys

Schokokekse ohne Schokolade, Formfleisch als Schinkenersatz, Fruchtjoghurt ohne Frucht aber dafür mit Sägespänen, Light-Produkte mit hohem Fettanteil, Bio-Produkte mit  erheblichem Zuckeranteil, Analogkäse… die Liste der Imitate und Täuschungen ließe sich  fortsetzen. Nun ist es eine Sache, dass eine Industrie Imitate auf den Markt bringt, eine andere ist es, den Verbraucher nicht darüber zu informieren. 

Wie und wo  aber kann sich der Verbraucher informieren? Wie schützt er sich vor schlechtem Essen in Gaststätten, Imbissen, Mensen und Kantinen? Wie kann er sicher sein, ein Bio-Brot zu kaufen, in dem tatsächlich mehr als 60 Prozent Vollkornmehl enthalten sind?

Die niederschmetternde Antwort: Bei uns gar nicht. Sollten Sie wirklich mal einem Bäcker begegnen, der mit Natursauerteig backt, dann kaufen Sie bei ihm ein. Denn er macht sich wesentlich mehr Arbeit als viele seiner Kollegen und muss im Zweifel noch rechtfertigen, weshalb sein Produkt teurer als das Imitat ist.

Thilo Bode schlägt vor, sich an unseren Nachbarn aus Dänemark zu orientieren. Sie praktizieren seit 2001 ein sogenanntes Smiley-System. Jedes Lebensmittelgeschäft und jedes Restaurant, jeder Laden, in dem man Lebensmittel kaufen oder Speisen zu sich nehmen kann, muss gut sichtbar öffentlich vorzeigen, was die letzte Lebensmittelkontrolle ergeben hat. So können die Kunden und Gäste sofort sehen, ob ihr Vertrauen gerechtfertigt ist und sie tatsächlich genießen und lustvoll zugreifen können.

Das Smiley-System erfreut sich knapp zehn Jahre nach seiner Einführung nicht nur einer breiten Akzeptanz von 97 Prozent der Dänen, sondern hat auch zu einer Verbesserung des Angebotes in den Geschäften und Betrieben geführt. Im selben Zeitraum entwickelte sich die nachhaltige biologische Landwirtschaft in Dänemark rasant und entpuppte sich zunehmend als  Exportschlager. Nicht zufällig kommt der beste Koch der Welt aus Kopenhagen und das – Wunder über Wunder – gerade weil er fast ausschließlich mit skandinavischen Produkten bevorzugt aus der umgebenden Region kocht.

Im Unterschied zu Imitaten sind unverfälschtes Essen, eine nachhaltige Landwirtschaft und ein verändertes Ernährungsbewusstsein ein Vorteil für die gesamte Bevölkerung. Weshalb soll man nicht Profite mit Lebensmitteln machen, die nachhaltig hergestellt sind und nicht durch Fette und Zucker zu Geschmack gelangen? Dafür wäre ein grundlegendem Umdenken notwendig. Die verpflichtende Einführung eines Smiley-Systems wäre ein erster Schritt in diese Richtung. Veränderungen beginnen meistens mit einem Lächeln.

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Phänomene: Eben kein Küchentalk

Charaktere: Küche spricht Deutsch

Für Sie gelesen:

Thilo Bode: Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen.
S. Fischer Frankfurt/Main 2010, ISBN: 978-3-10-004308-5, 224 Seiten
Bei Amazon zu erwerben

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