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Kultur beginnt mit dem Kochen

Als Laudator der Preisverleihung „Literarischer Wettbewerb“ der GAD stellte ich auf der Frankfurter Buchmesse 2008 die These auf, dass das Leben biologisch mit dem Wasser beginne, kulturell jedoch mit dem Feuer.

Feuer fangen – das Buch des "Mensch-Seins"

Erst das Feuer versetzte die Menschheit in die Lage, heute selbst­verständliche Grund­nahrungs­mittel verdaulich zuzubereiten. Im rohen Zustand sind Nahrungsmittel wie Weizen, Roggen, Hafer, Hirse, Reis oder Kartoffeln unverdaulich.

 

Erst durch das Feuer kultivierten die Menschen ihre Nahrungsmittel und schufen somit die Basis, um sesshaft werden.

Die Entwicklung dieser Esskultur versetzte die Menschheit zudem in die evolutionäre Lage, eine differenzierte Sprache zu auszubilden, da sich der Kauapparat zugunsten des Sprechapparates verkleinerte. „Das Kochen“, so meine These mit Blick auf das Entstehen von Sprache durch das Kochen und auf das daraus erwachsende Sprechen über Kultur, „ist der Grund des Buches.“

Biologie kultiviert

Nun erhält diese These ausgerechnet von einem Biologen fundamentale Unterstützung. Richard Wrangham hat ein spannendes und sehr folgenreiches Buch geschrieben – bedenkt man, was seine Thesen für die menschliche Evolutionsgeschichte bedeuten. Wrangham weist nach, dass die Menschen allein deshalb anderen Primaten überlegen waren, da sie lernten, ihre Nahrung mit Hilfe des Feuers verdaulich zuzubereiten und damit über das bessere Nahrungsangebot verfügten. Das Kochen machte sie zu den besseren Verwertern.

Wrangham, Professor für biologische Anthropologie in Harvard, spürt die Wurzel seiner These in den Schriften Charles Darwins auf. Der Gründervater der Evolutionstheorie selbst verweist schon – beinahe wie unbewusst – auf den Zusammenhang von Kochen und Sprechen, wenn er diese Errungenschaften in einem Atemzug die „Zentralen“ der Menschheit nennt.

Wrangham geht dieser These nach und stellt fest, dass die Menschen – im Vergleich zu anderen Primaten – nicht nur über einen erstaunlich kleinen Mund als Eingang des Verdauungssystems verfügen, sondern dass sie einen vergleichsweise kleinen Magen und ein kurzes Darmsystem aufweisen. Im Zusammenspiel mit dem Umstand, dass der Mensch aufgrund einer genetischen Veränderung nur ein relativ kleines Gebiss hat, ergibt sich für den Anthropologen daraus der entscheidende evolutionäre Vorteil des Menschen.

Verwertungsvielfalt durch das Feuer

Das Kochen macht das Essen besser verwertbar. Die großen Grundnahrungsmittel der Weltbevölkerung wie Kartoffeln, Weizen und Reis verschaffen erst ausreichend Kalorien, sobald sie gekocht sind. Darüber hinaus dient die Denaturalisierung von tierischen Proteinen ebenso der besseren Verwertbarkeit für den menschlichen Organismus. Nicht zuletzt erweitert die Kulturtechnik des Kochens die Palette der Nahrung immens. Das Feuer ließ sich die Menschen zudem auf dem Boden sicher  fühlen. Nun mussten sie nicht mehr – wie die meisten Affen – ein Schlafnest in den Bäumen errichten.

Wrangham geht daher davon aus, dass die Verwendung des Feuers weit länger als bisher angenommen, nicht erst seit 200.000 Jahren bekannt ist, sondern schon seit den Tagen des homo erectus, also in eine Zeit vor mehr als 1,5 Millionen Jahre zurückreicht. Diese Datierung ruht auf Wranghams Nachweis, dass bereits zu diesem Zeitpunkt alle anatomischen Veränderungen gegeben sind, die eine regelmäßige Verwendung gekochter Nahrung nahe legen

Das Kochen, so zeigt dieses Buch allemal, ist nichts weniger als der Grund des Menschen.

Für sie gelesen:

Richard Wrangham: Feuer fangen.

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Mehr auf Tartuffel:

Phänomene: essiXtenz

Charaktere: Es ist ein Brauch von alters her

Für Sie gelesen:

Richard Wrangham: Feuer Fangen. Wie uns das Kochen zum Menschen machte – eine neue Theorie der menschlichen Evolution.
DVA München 2009, ISBN 978-3-421-04399-3, 304 S.
Bei Amazon zu erwerben

Linktipps:

Vortrag Nikolai Wojtkos über „Kochbuch und Kreativität"

Preisrede zum „Literarischen Wettbewerb“ 2008

Mehr über den „Literarischen Wettbewerb“ der GAD 

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