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Umami Cover (Ausschnitt) |© Tre Torri Verlag Wiesbaden

Wohl-Geschmack

Umami. Was denken wir, wenn wir dieses Wort hören? Es ist – so einfach, wie oft noch nicht gewusst – unser fünfter Geschmack. Neben den geläufigen Geschmäckern süß, salzig, bitter & sauer verfügt unsere Zunge, über das Vermögen Umami zu schmecken. Und das aus gutem Grund: Umami zeigt den Wohlgeschmack an.

Umami - Das neuste Werk aus der Antoniewicz-Manufaktur

 

Umami könnte man sagen, schmeckt uns so gut, dass wir lange Zeit gar nicht wussten, dass es sich um einen eigenständigen Geschmack handelt. Das hat zum einen damit zu tun, dass Umami alleine für uns fast geschmackslos ist und erst im Zusammenspiel mit den anderen Geschmacksrichtungen sein Potential unter Beweis stellen kann, zum anderen aber suchen wir diesen Geschmack, wenn auch bisher oftmals unbewusst, denn er signalisiert uns proteinhaltige Nahrung. Ein Urinstinkt, dem wir anhand der verschiedenen im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte entwickelten Kochtechniken Rechnung tragen. Denn abgesehen von zahlreichen natürlichen Umamiquellen, kann Umami durch Kochen, Lagerung und Fermentation potenziert werden. Doch dazu später. Betrachten wir zunächst die allmähliche Bewusstwerdung dieses fünften Geschmacks. Ein Prozess, der von der Zunge zum Gehirn, von der Küche zum Labor und wieder zurück reicht.

Kunstwort Wohlgeschmack

Umami – wir sollten diesen Begriff zunächst in den Blick nehmen. Das japanische Wort war zu Beginn des letzten Jahrhunderts selbst in Japan unbekannt. Es handelt sich selbst um ein Kunstwort, das von Ikeda Kikunae 1907 erschaffen wurde, um dem köstlichem Geschmack sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Im folgenden Jahr schaffte er es dann aus Kombu kristallines Mononatriumglutamat zu isolieren und also den Wohlgeschmack im Labor zu erzeugen. Und zunächst sollte man auf dieses kristalline Pulver zu sprechen kommen, denn dies hat unsere Vorstellung von Umami geprägt. Lange Zeit bildete Mononatriumglutamat als Lebensmittelzusatz unsere zentrale Vorstellung von Umami. Kursierende Geschichten vom China-Restaurant-Syndrom, das nie wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte, taten ihr Übriges.

Umweg – vom Labor in die Küche

Dies änderte sich, als im Jahr 2000 nachgewiesen wurde, dass wir Menschen über Umami-Rezeptoren verfügen. Denn damit konnte, wiederum im Labor nachgewiesen werden, dass wir Umami schmecken. Warum aber dieser Umweg über das Labor? Bei den anderen Geschmacksrichtungen ist die Sache klar, wir schmecken die Süße einer Erdbeere, die Säure einer Zitrone, auch Bitter und Salzig erfassen wir als klare Geschmackssignale. Umami aber ist als isolierter Geschmack für uns nicht wirklich als solcher, sondern lediglich in Kombination mit den anderen Geschmäckern wahrnehmbar. So gesehen, versteht man, weshalb Heiko Antoniewicz Umami als einen hervorragenden Teamplayer versteht, der die anderen Geschmacksrichtungen grundiert und ihnen ein tieferes Geschmacksbild zu geben vermag. Denn spannend wird die Sache, wenn man von Pulver und Labor absieht und überlegt, welche Nahrungsmittel über hohes Umami-Potential verfügen. Neben der bereits erwähnten Kombu-Alge, oder dem Fermentationsprodukt Soja-Sauce, sind dies – um den Blick von der japanischen Zutatenliste einmal auf die europäische zu erweitern – beispielsweise Tomaten, Parmesan oder Roquefort-Käse – aber auch getrockneter Schinken, grüner Tee, Walnüsse oder Sardinen verfügen über ein hohes Umami-Potential.

Von der Mutterbrust an die Kochstelle

Diese Liste ließe sich beliebig erweitern, erhellend aber ist an dieser Stelle ein anderer Zusammenhang. Denn Muttermilch zeichnet sich ebenfalls durch ein hohes Gehalt an Umami aus – jenseits von Laborprodukten ist Umami für uns ein wichtiger Geschmack, denn er signalisiert unserem Gehirn proteinreiche Nahrung, geprägt vom ersten Stillen an. So gesehen könnte man die Vorgänge des Kochens auch in der Hinsicht interpretieren, Wohlgeschmack – Umami zu erzeugen. Und in der Tat weisen Gerichte mit langer Garzeit, wie Schmorgerichte oder manche Eintöpfe ein hohes Umamigehalt aus. Aber auch die klassischen Prozesses des Kochens jenseits des Herdes, die Haltbarmachung von Lebensmitteln durch Fermentation und Reifung fördern den Umamigehalt mancher Lebensmittel. Es scheint, als hätte die Menschheit intuitiv nach diesem Geschmack gestrebt, der ihr von der Mutterbrust so vertraut ist.

Heiko Antoniewicz - Rezepte

Heiko Antoniewicz, der Impulsgeber der gastronomischen Szene hat sich in seinem gerade erschienen Buch: Umami dieser Thematik zugewendet. Zum einen geht er – wie bei dem von seinen Kollegen als „Professor“ betitelten Meister der Kochanalyse nicht anders zu erwarten – grundlegend und umsichtig an. Zum anderen gestaltet er seine Rezepte anschaulich, nachvollziehbar und vor allem im Hinblick auf Umsetzbarkeit, gleich ob im Restaurant oder am heimischen Herd.  

Die Idee für seine Rezepte erklärt Antoniewicz im Vorwort so: „Die für dieses Buch entwickelten Rezepte sind nach ihrem Umami-Gehalt von I-V unterteilt. Auch wenn es im V. Kapitel teilweise intensive Aromen gibt, haben wir Wert auf die Harmonie der Aromen gelegt, so hält jedes Rezept einen geschmacklichen Spannungsbogen und teilweise auch überraschende Elemente bereit. Dazu haben wir nicht nur unterschiedlichste Lebensmittel versammelt, die ein bekanntes Umami-Potential besitzen, sondern auch für uns alltägliche Lebensmittel, deren Umami-Potential wir erst noch in der Küchenpraxis entwickeln müssen: Jakobsmuschel, Erbsen, Blumenkohl – hier ist es eine Frage der Zubereitung, ob wir das in ihnen schlummernde Umamipotential besser nutzen wollen. Wichtig bei allen Rezepten – und das mag vielleicht auf den ersten Blick überraschen, erinnert es doch eher an die Parfümerie als an die Küche – ist das Zusammenfügen von Kopf-, Herz- und Basisnoten – daher haben wir auch immer wieder florale Noten in den Rezepten – Zitrusfrüchte, Lavendel, Kastanienblüte, aber auch Brombeerblätter, um an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl zu nennen. Eine solche Kombination ist wichtig, will man Umami vielschichtig und filigran auf die Teller bringen.“

Umami Potential - Ein erster Eindruck

Durch die Unterteilung der Rezepte bezogen auf ihr jeweiliges Umami-Potential, erhält der Leser schon bei der ersten Lektüre einen Eindruck von der Vielseitigkeit der gezielten Verwendung von Umami-Komponenten. Den Anfang macht hier

Geprasselter Kopfsalat // Dosenmilch // Zwiebeln 

Einfache Komponenten treffen hier auf eine außergewöhnliche Komposition. Zugegeben: Dosenmilch ist aus der Mode gekommen, doch selbst zubereitet, besticht sie durch intensiv cremigen Geschmack und könnte – ganz jenseits ihres klassischen Dosendaseins - in dieser Art öfter in der Küche zum Einsatz gelangen. 

Kalbsrücken // Bergamotte

Das leichte und zugleich vielschichte Aroma der Bergamotte  vermag viel mehr als Earl Grey Tee zu aromatisieren. Tomatenserum und Krustentierfond verleihen dem Kalbsjus eine abwechslungsreiche Mundfülle auf leichte Art.

Kartoffel // Misoquark // Wilder Garten 

No waste und ein Plus an Geschmack: Ein leichtes Gericht und ein geschmacksintensives Schwergewicht zugleich. Hier zeigt sich, das voller Umami-Geschmack auch auf filigrane Weise auf die Teller gezaubert werden kann. Ressourcen werden hier nicht verschwendet, sondern zum Einsatz gebracht. Neben dem Kartoffelwasser sorgt die Schale der Kartoffel für intensive Röstaromen, welche die Frische des Gerichts nicht überlagern, sondern unterstreichen. Miso und Quark liefern hier die sichere Grundlage, um den Spargel voll zur Geltung bringen zu können.

Natürliches Glutamat - keine Kristalle

In seinem das Buch abschließenden Betrachtungen zu Glutamat, beantwortet der Molekularbiologe Michael Podvinec „Umami: Warum der fünfte Geschmack unserem Körper guttut: Unsere Geschmackssensoren nehmen schon kurz nach der Geburt ihre Arbeit auf, so reagieren wenige Stunden alte Neugeborene ablehnend auf die Geschmäcker sauer oder bitter, jedoch klare positive Reaktionen auf süße wässrige Lösungen, oder solche, die nach Umami schmecken.

Natürliches Glutamat, oder das aus den Kristallen? „Für den Biochemiker gibt es erst mal keinen Unterschied. Das Molekül ist dasselbe, egal, woher es kommt. Dennoch schmeckt der erfahrene Koch einen Unterschied im Gericht.“  Den Unterschied kann man am besten durch eine Analogie beschreiben. Der Geschmacksverlauf von natürlichem Glutamat zu industriell hergestellten ähnelt dem bekannten Unterschied im aromatischen Verlauf von Vanille zu Vanillin. Vanillin liefert eine Fülle an schnell flüchtigem Aroma, während die Vanille aromatisch komplexer, langanhaltender und damit geschmacklich zufriedenstellender wirkt.

Die Bilder von Thorsten kleine Holthaus bilden die Rezepte in einer zum Thema stimmigen Umami-Atmosphäre ab, welche durch das große Format des Bandes unterstrichen wird. Vom ersten Moment der Lektüre eröffnet sich für den Leser so ein kulinarischer Hochgenuss – ganz Jenseits von Labor und Herd.

Tartuffel empfiehlt:

Heiko Antoniewicz: Umami. Tre Torri, Wiesbaden 2018, 160 Seiten Hardcover, 49,90€

 

 

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