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Kleine Überschrift, grandioses Buch

In seinem Buch „Deutsche Küche“ unternahm Wolfram Siebeck den Versuch deutsche Küchenklassiker neu zu interpretieren. Ein Gericht, welches er besonders liebevoll präsentierte, waren die „Königsberger Klopse“. Und ja, es war eine Entdeckung nach zahlreichen verkochten Klopsen, die man im Laufe seines kulinarischen Lebens in gutbürgerlichen Restaurants serviert bekam, dachte man schon, dieses Gericht solle besser bleiben, wo es hingehört, zurück nach Königsberg. Doch Siebeck verstand es, dem Gericht seinen Glanz und die geschmackliche Finesse zurück zu geben, die es verdient. Stevan Paul geht bei diesem Gericht noch einen Schritt weiter. Dies ist kein Zufall, sondern hat System.

Stevan Paul legt mit „kochen“ den „großen Paul“ vor

Denn schnell merkt der Leser, wie wichtig ein durchdachtes System beim Kochen ist. Das Buch liefert das System direkt mit, denn hier werden allgemeine mit speziellen Hinweisen verwoben, Anregungen für die persönliche Würzung und zur Schulung seines Geschmacks gegeben und: die Rezepte reichen von einfach genial bis ausgesprochen Vielschichtig, ohne deshalb kompliziert zu werden. Denn kochen, so zeigt dieses Buch, ist keine Strafarbeit, sondern Spaß daran mit unterschiedlichen Texturen, Temperaturen Zutaten, Gewürzen und Farben zu arbeiten, um sich im Anschluss am Spaß in der Küche durch tolle Gerichte beim gemeinsamen Essen zu belohnen.

Und sehen wir es realistisch: Kochen ist unser grundlegendes Kulturgut. Erst durch das Kochen haben wir uns zu Menschen entwickeln können. Es wäre schade, wenn kochen keine Freude machen würde. Man muss nur ein wenig Mut mitbringen und das Buch nimmt einem Anfänger die Unsicherheit und hat auch für den erfahrenen Hobby-Koch zahlreiche Anregungen parat. Dazu gibt es Reflexionen, rund um das Prinzip Kochen: Welche Messer benötigt man? Wie sollte man sie einsetzen? Wie kann man Reste verwerten? Welche Kochtechniken gibt es? Wie kann man sich die Arbeit schön gestalten? Dabei sind die locker eingestreuten Kapitel, die sich mit so grundlegenden Sachen wie Salz, Warenkunde oder Anrichteempfehlungen beschäftigen, immer in einem anregenden kenntnisreichen Ton gehalten, der es leicht macht, das hier vorgeführte Wissen nicht als Belehrung, sondern als Ermunterung zur individuellen Verbesserung zu verstehen. Denn eines will kochen in allen Facetten: Den Leser anregen sich seines eigenen Geschmacks  zu bedienen. So, wie es schon in der Einleitung erzählt wird: Man soll selbst kreativ werden und sich nicht überfordern, sondern seiner Kreativität Flügel verleihen.

Dazu ist das Buch nach den Typischen Posten in der Küche eingeteilt. Wir können also die unterschiedlichen Techniken der Zubereitung von Vorspeisen, Gemüsen, Fischen- und Meeresfrüchten, Saucen und Fonds, Fleisch und Desserts erlernen und dabei noch eine Menge über Käse und seine Darreichungsformen erfahren, denn auch hier wird nicht einfach nur gehobelt, oder geschnitten. Mit einigen wenigen Kunstgriffen wird das sonst in Kochbüchern eher stiefmütterlich belegte Käsekapitel zu einer kleinen kulinarischen Sensation. Das Buch insgesamt aber ist nichts weniger als eine Große.

Sapere aude! 

Daher auch die Überschrift, die vielleicht zunächst irritiert. Immanuel Kant erhob den Ausspruch "Sapere aude“ zum Leitsprich der Aufklärung und übersetzte ihn in: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Doch – und das überging der Philosoph aus Königsberg der für seine ausgedehnten Mittagessen mit ausgesuchten Gästen ebenso berühmt war, wie für seine Vorliebe zu Bordeaux-Weinen und seinem Hang, seinen Senf selbst anzurühren – es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. Denn wörtlich übersetzt lautet der Spruch „Wage es, weise zu sein“, genau genommen – so die zweite Bedeutung des lateinischen Wortes sapor: „Wage es, deinem Geschmack zu vertrauen“. Kulinarisch wird diese Lücke zum Geschmack, die der Aufklärer Kant offen gelassen hatte, da seine Kritik der kulinarischen Vernunft nicht geschrieben wurde, nun gefüllt. Stevan Paul hat somit einen zentralen Beitrag geschrieben, denn er appelliert in seinem Buch dafür, seine kulinarische Kompetenz zu entdecken, zu fördern und damit seiner Kreativität Flügel zu verleihen. Ganz ohne philosophisches Geschwurbel, dafür aber mit jeder Menge Übersicht und Spaß am System Küche, Basiswissen, Rezepte, Vor- und Zubereitungen.

Ich habe jetzt noch gar nicht von den Rezepten gesprochen, der kurze Ausflug nach Königsberg soll reichen, denn die Klopse werden hier noch eine Idee schöner zubereitet, als es Siebeck seiner Zeit mit viel Finesse und Liebe zum Detail vorschlug. Die schöne Gestaltung und die grandiosen Bilder machen diesen Brocken Buch zu nichts weniger als einem neuen Standardwerk für die Küche. Geschmack ganz im aufgeklärten Sinne.

 

 

Tartuffel empfiehlt:

Stevan Paul: kochen. Echt gut kochen/einfach kombinieren/unbegrenzte Möglichkeiten. Brandstätter Verlag, Wien 2019, 408 Seiten gebunden, 40,00€

 

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