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Der Geschmack des Waldes in alter Schmiedehalle

Längst ist die Chef-Sache ein etabliertes internationales Festival der kulinarischen Avantgarde. Ausgezeichnete Chefs zeigen hier den Stand ihrer aktuellen Arbeiten und Ideen und begeistern das Publikum meist durch unbekannte Zutaten und filigran gearbeitete Teller.

Die Chef-Sache No. 9 erweitert kulinarische Horizonte    

Doch die Chef-Sache beschreibt auch eine kulinarische Neudefinition des Regionalen. Und da sollte man kurz vor der eigenen Tür anfangen. Das Rheinland – und wir sprechen jetzt mal nur von dem Teil des Rheinlands, der sich von Westfalen abgrenzt, um mit dieser Region ein Bundesland zu bilden – ist geprägt durch die fast sprichwörtliche Abgrenzung seiner beiden großen Städte Köln und Düsseldorf. Dies geht so weit, dass man in Köln keine Straßenschilder findet, die einen nach Düsseldorf lotsen. In vor Navi-Zeiten war man als Ortsunkundiger also darauf angewiesen zu wissen, wie die nächst kleinere Stadt neben Düsseldorf heißt, wollte man nicht in die falsche Richtung steuern. Wenn nun Carola Gerfer Ruhl und Thomas Ruhl, die Initiatoren der Chef-Sache beschließen, die Standort des renommierten Festivals von Köln nach Düsseldorf zu verlegen, dann setzen sie ein wohl kalkuliertes Zeichen: für die Region und gegen die Abgrenzung. Auch wenn die eigentlichen Gründe für den Umzug in der profanen Suche nach einer geeigneten Location zu suchen sein mögen, beschreibt dieser Ortswechsel und die damit verbundene Erweiterung des Horizonts ein zentrales Thema der internationalen kulinarischen Avantgarde. Doch greifen wir nicht vor und bleiben zunächst am Ort:

Die neue Location der „Alten Schmiedehallen“ bietet der Chef-Sache nicht nur mehr Luft, Licht und Raum, sondern eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Das Format wurde deutlich erweitert. Der Gastronomie-Talk mit Talkmaster Ralf Bos wird nun Flankiert durch Powerslots der Chef-Sache Ambassadors, so wird das Programm auf der Hauptbühne deutlich aufgelockert und die intensiven Präsentationen der internationalen Chefs erfahren durch entspannte Talks eine angenehme Ergänzung. Doch auch neben der Hauptbühne hat sich einiges getan. Neben zahlreichen Ausstellern, die sich auf dem weitläufigen Areal aber nicht drängen, trifft man auch in diesem Jahr wieder in „Das Deli“, dem von Claudia Stern so umsichtig wie souverän geleiteten kulinarischen Treffpunkt zwischen den Veranstaltungen.

School of Wine – Master Classes

Dem vielfältigen Thema Wein wird nicht nur eine Master Class, sondern direkt ein ganzes Schulzimmer eingerichtet. In dieser School of Wine öffnet man sich grundsätzlich dem Thema Wein. Denn hier wurden nicht nur gängige Weinthemen verkostet und besprochen, sondern auch strittige Themen wie das der Natural Wines, für die es nach wie vor weder eine klare Definition noch eine präzise Zuschreibung gibt, aufgegriffen. Da man mit „Beyond Sweetness“ auch das Thema der einfallsreichen alkoholfreien Getränkebegleitung in die Weinschule aufnahm, kann man damit rechnen, dass diese beiden Themen in Zukunft nicht vom Weinkreis ausgeschlossen, sondern zum Wein-Kanon gerechnet werden.

Zusätzlich wurden in diesem Jahr auf der Bühne der AEG gleich mehrere Master Classes – „Boreal Cooking“, „Coffee Culture“, „Koch Campus“ und die „AEG Taste Academy mit Heiko Antoniewicz“ - angeboten. Auf diese Weise werden nun auch Themen, die von den internationalen Chefs auf der großen Bühne präsentiert werden, vor kleinem Publikum in gemütlicher Atmosphäre präsentiert und – dies ist der praktische Effekt der Master Classes - direkt essbar. Wenn man sich fragen sollte, was denn bitteschön „Boreal Cooking“ ist, so kann an dieser Stelle beruhigt werden, es handelt sich dabei keinesfalls um ein Wortspiel, als vielmehr um die Bezeichnung der der Tundra ähnlichen Landschaft im nördlichen Kanada. Bei dieser vom Küchenchef Arnoud Marchand aus Québec vorgestellten Stil geht es darum, die  Landschaft in die Küche zu holen. Hier wird, wie in vielen aktuellen Arbeiten internationaler Küchenchefs das Denken des Regionalen aufgebrochen und neu gedacht. Es geht nicht mehr darum, das Regionale als kleine Scholle mit festen Grenzen zu denken, als vielmehr um die Möglichkeiten, die eine weit gedacht Umwelt bietet. Und damit beschreibt diese Master Class ein grundlegendes Thema auch der diesjährigen Chef-Sache.

Essbare Landschaften

Schon seit mehreren Jahren, spätestens animiert durch den Erfolg, den René Redzepi mit seiner Interpretation der New Nordic Cuisine erlebt, stellen sich die Chefs der internationalen Avantgarde der Herausforderung, welche „Rohstoffe“ ihre direkte Umwelt für ihre Küche liefern kann. Die Vorteile dieser Ausrichtung liegen auf der Hand liegen auf der Hand: Frische, Geschmacksintensität, kurze Wege und neue Aromen. Naturgemäß fanden sich diese Zusammenhänge in den Arbeiten, welche die Chefs auf der Hauptbühne präsentierten. Dabei nahm sich Jürgen Dollase als Moderator sehr zurück, er verlegte sich vielmehr darauf, eine kenntnisreiche und praktische Einführung für den jeweiligen Akteur zu liefern, um das Publikum mit dem Restaurant, den Ideen und Konzepten vorab ein wenig vertraut zu machen, ansonsten überließ er die Bühne den Chefs, während Gastgeber Thomas Ruhl mit seiner ruhigen Gelassenheit, für das Abklingen von Nervosität des Auftritts vor einem riesigen Publikum sorgte. So konnten sich die Akteure auf der Bühne ganz auf die Präsentation ihrer Arbeiten konzentrieren.  Welche unterschiedlichen Ausrichtungen diese Blickrichtung ergeben, kann man am besten Anhand zweier Präsentationen auf der Hauptbühne der Chef-Sache illustrieren. Denn nicht nur die New Nordic Cuisine - auf der Chef-Sache vertreten durch Esben Homboe Bang, dessen Restaurant Maaemo im letzten Jahr mit dem dritten Michelinstern ausgezeichnet worden ist - geht es um die Frage der aromatischen Zubereitung und Entdeckung der Zutaten der Region, sondern auch in der klassisch geprägten Küche von Heinz Reitbauer. Das von ihm betriebene Steirereck mit Sitz in Wien gilt seit langer Zeit als das unangefochten beste Restaurant des Landes. Seine Küche ist geprägt durch seinen Ideenreichtum, die Präzision seiner Arbeiten, sowie durch den grundlegenden Bezug auf Tradition und Regionalität, die bei Reitbauer stets zu neuen Erkenntnissen und modernen Ergebnissen führt. Denn der Bezug zur Region wird von ihm verstanden als die Suche nach unbekannten, oder in Vergessenheit geratenen Produkten und Zutaten. Dieser Ansatz ähnelt also dem des Maaemo – was übersetzt einfach Heimat bedeutet – wird aber ganz anders zum Ausdruck gebracht. Auf der einen Seite die jugendliche Wucht des in Norwegen lebenden Dänen, auf der anderen Seite die filigrane Leichtigkeit des Wieners mit steirischen Wurzeln. Steht die eine Präsentation unter dem Motto „Raw Nature“, in dem der Bezug auf das Ursprüngliche und Kantige der norwegischen Fjordlandschaft mitschwingt, so verschreibt sich die andere Präsentation dem „Geschmack des Waldes“.

Homboe und Reitbauer arbeiten mit intensiver Leidenschaft und ihre unterschiedlichen Ergebnisse zeigen, wie viel Potential in dieser kulinarischen Interpretation von neu zu findender Regionalität steckt. Während Homboe nach den traditionellen Lebensmitteln Norwegens und ihren aromatischen Anschluss an die Moderne forscht, zeigt Reitbauer ein in seiner Vielfalt fast vergessenes Thema wissenschaftlich fundiert auf. Er beschäftigt sich mit der Sonderstellung der Pilze. Denn kulinarisch finden lediglich wenige Sorten Verwendung. Allerdings ist die Pilzwelt reich an Arten, Farben, Geschmack und kulinarischen Einsatzmöglichkeiten. Und mit der Arbeit an seinen Tellern zeigt er, welche Möglichkeiten in diesem Thema noch unentdeckt schlummern. Der Pilz als Geschmacks- und Proteingeber verdrängt hier das Fleisch als Hauptkomponente. Überhaupt findet Fleisch bei Reitbauer vorwiegend unter dem Aspekt des geschmacklichen Nutzens Anwendung. Gerade da Reitbauer kein Dogmatiker ist, verwendet er klassische Zutaten nicht klassisch und erreicht damit auf seinen Tellern einen modernen Ausdruck, der stilistisch so perfekt wirkt, als würde er den Beginn einer neuen Klassik beschreiben. Wie ein Myzel unterirdisch nach seinem pflanzlichen Baumwirt sucht, um mit ihm eine Symbiose einzugehen und Pilzkörper auszubilden, scheint die Region in die Küche des Steirereck zu drängen, um hier zu ihren wirklichen Ausdruck zu gelangen. Am Ende des Vortrages meint man den Wald riechen zu können, mitten in den alten Schmiedehallen. Weshalb Heinz Reitbauer immer noch nicht, wie sein junger Kollege aus Norwegen, mit dem dritten Stern ausgezeichnet ist, bleibt nach der Präsentation dieser anspruchsvollen und in die aromatische Tiefe reichenden Arbeiten, erneut offen, denn grandios arbeiten beide Köche, neue Wege beschreiten sie auch, bloß fällt es bei dem einen nicht so sehr auf, obwohl es gleichfalls offensichtlich ist.

Impulsgeber

Heiko Antoniewicz, Patron Èditorial von Tartuffel, konnte bei der Wahl zum Impulsgeber der kulinarischen Szene seinen Erfolg des Vorjahres bestätigen. In seinen AEG Masterclasses zeigte Antoniewicz in diesem Jahr zum einen die Möglichkeiten einer modern interpretierten vegetarischen Küche, zum anderen präsentierte er die kulinarische Interpretation seiner Heimat, dem Ruhrgebiet: Da die Metropole Ruhrgebiet aus Menschen besteht, die aus mehr als 200 Ländern stammen entsteht so eine kulinarische Weltreise, die dem Denken der regionalen Enge einen aromatisch vielschichtigen Spiegel vorhält. Dadurch, dass Antoniewicz das Ruhrgebiet auf die kulinarische Karte stellt, zeigt er, wie kulinarisches Denken vergessene Rohstoffe ans Tageslicht fördern kann. Durch das moderne Denken der Regionalität entsteht auf diese Weise auf seinen Tellern ein ganzer Geschmackskosmos, der erstmals die kulinarische Vielschichtigkeit der Region Ruhrgebiet aufzeigt.

Das die weltbesten Köche im kommenden Jahr zum 10. Mal nach Deutschland kommen, um den aktuellen Stand ihrer Arbeiten zu präsentieren, ist den Organisatoren der Chef-Sache Carola Gerfer-Ruhl und Thomas Ruhl zu danken. Sie haben hier ein Format entwickelt, von dem man vor einer Dekade nicht dachte, dass es sich bei uns etablieren würde. Die stetig wachsende Zahl an Ausstellern, Besuchern und den besten Chefs der Welt, zeigt wie wichtig und wie gefragt die Chef-Sache ist, gerade da sie sich anhand der gegenwärtigen Arbeiten der Avantgarde mit der Zukunft des Essens grundlegend auseinandersetzt. Dabei zeigt die Chef-Sache eindrucksvoll, wie wichtig es ist, Regionalität kulinarisch entgrenzt und international zu denken. Damit macht sie heute schon Werbung für die kommenden kulinarischen Entwicklung und schmeckbare Regionen aus Wald und aus anderen Gegenden wieder in den Alten Schmiedehallen. Im kommenden Jahr am 16.&17. September.

 

 

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