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Cover des besprochenen Buches (Ausschnitt) |© Echtzeit Verlag

Einfach das Beste

Die Welt als Wille und Vorstellung? Nicht ganz und doch einfach mehr als das. Denn was Christian Seiler mit „Alles Gute“ vorlegt ist mehr, als ein existentialistisches Manifest. Es ist weniger eine Begründung der Welt, als vielmehr ein ganz diesseitiges Glaubensbekenntnis. Durch Argumentation, Ironie und großer Erzählkunst begründet der Autor sein Postulat, sich dem Guten des Lebens zuzuwenden. Nach der Lektüre wird man ihm nicht nur zustimmen, sondern sein Leben ändern, es ist zu kurz, für schlechtes Essen.

Christian Seilers imposante Interpretation der Welt als Speisekarte

Eine Offenbarung. Nichts weniger. Und selbstverständlich darf die Frage erlaubt sein, ob man tatsächlich mehr als 800 Seiten über Essen schreiben kann, ohne sich in Wiederholungen zu ergehen, oder zu langeweilen. Um es vorwegzunehmen: Das Buch langweilt an keiner Stelle, im Gegenteil, es macht Appetit, auf Reisen zu den beschriebenen Restaurants, auf Gespräche mit den Portraitierten Menschen und auf das immer wieder anregend beschriebene Essen. Das geht natürlich nur, mit der dazu nötigen Dosis Wein.

„Der eiskalte Wein spülte eine neue Welle von Zufriedenheit in den Nachklang der Muschel. Ich saß, schmeckte, spürte eine Vorahnung der euphorisierenden Wirkung des Alkohols.“ In diesem Falle ist es die Rebsorte Hondarribi Zurri, die auf der grün bewachsenen Küste, die sich scharf vom Wasser der Biskaya absetzt, im Blick des Essers wächst. Aus den Trauben der Reben wird der Txakoli gekeltert, ein Wein, der durch den Geschmack am Gaumen die Vorahnung der Euphorie liefert. Und es ist angenehm, wie uns der Autor der uns an seinem Blick auf das Meer, mit dieser Umschreibung zugleich an seinem inneren Geschmacksmoment teilhaben lässt. Denn über Geschmack zu reden hat immer auch etwas mit einem Bild, einem optischen Eindruck und der Beschreibung der allgemeinen Gefühlslage zu tun. Und es ist diese Kunst des Autors, seine Leser nicht bei einem „Yammi“ stehen zu lassen, sondern sie mitzunehmen, auf seine Reisen des Geschmacks.

Geschmack und Literatur

Natürlich – so das grandiose Diktum A.J. Liebling - hätte Proust ein großer Schriftsteller werden können. Bedenkt man, welches grandiose Werk er geschrieben hat, ausgelöst lediglich durch einen Bissen in Tee getränktes Gebäck, was hätte er nicht alles schreiben können, wenn er über einen ausgeprägten Geschmack verfügt hätte. Um es kurz zu machen, Seiler verfügt über einen großen Appetit und ist in dieser Hinsicht wesentlich näher am berühmten Restaurantkritiker des „New Yorker“, als am Pariser Literaten. Auch Seiler Stil erinnert zuweilen an Liebling, was Stil, Appetit, Präzision und Spaß an literarischen Fallhöhen angeht.

Seiler nimmt uns mit zu 53 Stationen seiner kulinarischen Reisen. Aber er fliegt nicht einfach in ein Restaurant ein, der Leser erfährt erstaunlich viel über die Städte und Regionen, nur in der Regel nicht, anhand von schönen Fotografien, sondern anschaulicher. Und es ist diese Kunst, Bilder entstehen zu lassen, Gespräche zu erzählen und damit Personen in Prosa zu malen, als ginge es um die Beschreibung eines erstklassischen Gerichts, die hier – na ja – den Geschmack in all seinen theoretischen Facetten – wir sind ja bei Literatur – zur Geltung bringt. Und auf einmal wird einem – auf eine ganz andere Art als bei Proust – klar, dass Essen in der Tat nicht Nahrung, sondern in erster Linie Kommunikation und damit natürlich auch Literatur ist. Der Vorteil gegenüber Proust besteht für den Leser darin, dass Seiler nicht auf der Suche nach dem Vergangenen, sondern stets am Puls der Zeit ist. Angeregt durch die Lektüre kann man also seinen nächsten Urlaub und Restaurantbesuch planen. Möglichkeiten eröffnet die Lektüre mehr als genug.

Doch verweilen wir einmal beim Geschmack und lauschen wir, wie Seiler mit Yotam Ottolenghi einen Koch beschreibt, der vegetarische Küche nach Vorne bringt, ohne dem Fleisch abgeschworen zu haben (und der gerne auch Fleischgerichte in seinen von Vegetariern besuchten Restaurants anbietet, nicht um zu provozieren, sondern um für mehr Gelassenheit und Offenheit einzutreten):

„Seine Gerichte treten mit Entschlossenheit und Wucht auf. Yotam Ottolenghi produziert eine vegetarische Küche, aus, jawohl, Fleisch und Blut.“

Geht doch. Und ich sag jetzt nichts über die kleinen, kenntnisreichen Reflexionen, die das Buch in fast jedem Kapitel erweitern, auch nichts über die versammelten Rezepte, die so ausgesucht sind, dass man nichts anderes machen kann, als sie nach der appetitanregenden Lektüre zu kochen. Absolute Suchtgefahr.

Sie sind also gewarnt: Kaufen sie dieses Buch.

 

Christian Seiler: Alles Gute! Die Welt als Speisekarte, 816 S. geb., Echtzeit Verlag, Basel 2019, 43,00€

 

 

 

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