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Cover des besprochenen Bandes |© Matthaes Verlag

Wald kulinarisch veredeln

Wenn sich zwei herausragende Köche nicht nur schätzen, sondern zu Freunden geworden sind, bringen sie in Zusammenarbeit etwas Besonderes hervor. Ludwig Maurer und Heiko Antoniewicz, unsere Patrons Èditorial legen nun nach Veredelung mit „Wilder Wald“ ihr zweites Buch vor.

"Wilder Wald" rückt amhand der Elemente den Wald in den kulinarischen Fokus - Grandiose Pionierarbeit

Heiko Antoniewicz genießt in der kulinarischen Szene – nicht zuletzt auf Grund seiner zahlreichen Bücher, die sich mit grundlegenden Themen des Kochens beschäftigen – hohes Ansehen. So mag es nur den Außenstehenden überraschen, dass er unlängst zum vierten Mal in Folge aus dem Kreis seiner Kollegen zum Impulsgeber gewählt worden ist, denn er beschäftigt sich heute schon mit dem, was eines Tages ein Trend wird, bevor es im Alltag auf unsere Teller kommt. Ludwig Maurer, vielen als Fleischexperte bekannt, ist in Deutschland der erste Züchter von Bio-Wagyurindern. Sein Popup Restaurant „Stoi“ wurde auf der Chef-Sache zum „Hotspot“ gewählt.

Ihr erstes gemeinsames Buchprojekt beschäftigte sich – folgerichtig für einen Fleischexperten - mit der „verEdelung“ von Fleisch. Das aktuelle Gemeinschaftsprojekt der beiden befreundeten Köche schlägt vollkommen neue Wege ein. „Wilder Wald“ so der Titel des Buches sucht nach neuen Formen der kulinarischen Auseinandersetzung mit unserer Umgebung.

Das Buch arbeitet zunächst optisch – die vielschichtigen Bilder von Volker Debus zeigen aus unterschiedlicher Perspektiven Impressionen von Wald und Natur – und illustriert auf diese Weise die vier Elemente, die zur grundlegenden Struktur des Buches werden. Denn es sind Wasser, Erde, Feuer und Luft, die das Buch gliedern und anhand der ausgezeichneten Fotografie und unterstützt durch exzellentes Design (done by people/Wiesbaden) vielschichtig in den Blick genommen werden.

Dabei geht es um eine erste kulinarische Unterteilung des Gesamtgebildes „Wald“, wie die Köche selbst sagen:

Ludwig Maurer: „Deshalb sind die Kapitel in unserem Waldbuch auch nicht klassisch untergliedert, in Kräuter, Pilze, Farne, Haarwild, Federwild, sondern in Erde, Wasser, Luft, Feuer. Einem Lebensraum, dem das zentrale Lebensmittel entsprungen ist und das den Geschmack des jeweiligen Gerichts prägt.

Heiko Antoniewicz: „Gleichzeitig stehen die Elemente für technische oder biochemische Prozesse wie etwa braten, Dämpfen, Fermentieren oder Reifen.“

Elementare Zutaten

Dann aber wird es grundsätzlich: Wie bekommt man den Geschmack von Wasser auf den Teller? Gleich das erste Rezept deutet an, wohin die waldinspirierte Reise geht. Denn was finden wir in einem Wald vor? Sicherlich eine Quelle, einen Bach oder See, also frisches Süßwasser, aber auch das Wasser von Bäumen, etwa Borkenwasser, welches man, auf Grund seiner Mineralität kulinarisch veredeln kann. Wie aber bringt man Wasser auf die Teller? Das Süßwasser wird als Sphäre, das Birkenwasser als Espuma präsentiert. Zur Unterstreichung des Waldseegedankens kommen grüne Noten anhand von Blattpetersilie und Brunnenkresse als Öl zum Einsatz, welches die Süßwassersphäre aromatisiert und mit einem optischen Kontrast versieht. Säure und Jodigkeit liefern Saiblingskaviar und Yuzugranulat. Alle Elemente eines Waldsees befinden sich nun auf dem Teller, wir können ihn zum ersten Mal kulinarisch genießen. Eine Spielerei? Das Gegenteil! Auch wenn die Umsetzung des Gedankens spielerisch leicht wirkt, verbirgt sich - neben der tiefen Durchdringung des Themas den Wald kulinarisch zu erschließen - die Meisterschaft der beiden Köche darin, mit gewohnten Mustern zu brechen, ohne dabei den Erfahrungshorizont der Gäste aus dem Blick zu verlieren. Vor Jahren verblüffte Stefan Wiesner mit seinem geräucherten Schneewasser, doch im vorliegenden Fall wird eine andere Tonalität gewählt: Wasser soll hier nicht der Transporteur eines rauchigen Aromas sein, sondern für das stehen, was es ist: Wasser zum Essen – aus dem See, dem Fluss, dem Birkenbaum. Holzige wie grüne Aromen rufen am Gaumen die Mischung der spezifischen Erinnerungen an einem Spaziergang im Laubwald ab. Wald in einer seiner elementarsten Formen zum Essen. Diese Idee wird im zweiten Rezept aufgegriffen und anhand von Meerwasser – Wälder befinden sich ja auch vielerorts direkt am Meer – spannend weitergedacht. Hier anhand der Komponenten Meerwasser – Salzwasser – Austernwasser. So entstehen erste Appetithappen die neugierig machen und die Augen für die weiteren im Buch versammelten Ideen öffnen. Der Wald erfährt schon in seinem auf den ersten Blick fremden Element, dem Wasser hier eine ungeahnte kulinarische Kontur.

So vorbereitet kann nun das Kapitel aufgeblättert werden. Rezepte wie „Haselnussmilch, Steinpilze, Flusskrebs“, „Hecht, Haferwurzel, fermentierter Senf“ zeigen auf, welches Potential in diesem Thema schlummert, wobei die Köche stets Wert auf eine nachvollziehbare, oder, wie in „Geschäumter Fond von Weissfischen“, einfache Veredelung von Küchenresten vonstatten gehen kann.

Die Kapitel zu den weiteren Elementen – Erde, Feuer, Wind - sind analog aufgebaut und enthalten jede Menge Stoff, um sich eigenständig den Wald kulinarisch zu erschließen.

Blick in den Wald

Was dem Buch fehlt, klingt mit dem oben Gesagten schon an. Bei einer solchen Pionierarbeit, wie der hier vorliegenden wäre es hilfreich, wenn die Rezepte nicht einfach unkommentiert stehen würden. Denn hier würde der Leser von den Autoren gerne mehr zu den Ideen und Hintergründen ihrer Entstehung erfahren. Warum finden sich die hier vorgenommenen Kombinationen zusammen? Welche Bedeutung haben die teilweise recht exotischen Zutaten im Hinblick auf die jeweilige Komposition auf dem Teller und warum sind sie relevant bei der kulinarischen „Eroberung“ des Waldes? Dies wären keine überflüssigen Worte. Im Gegenteil: Sie würden dem Konzept Kontur verleihen und die Gedanken der Köche für den Leser besser nachvollziehbar werden lassen. Und es würde natürlich sehr gut zur Idee passen, über neue kulinarische Wege zu sprechen und damit die kulinarische Aufklärung voran zu bringen. Denn die in diesem Buch zu üppig wuchernden kulinarischen Ideen wollen auch jenseits des Herdes erklärt werden, damit der Leser das kulinarische Potential des Waldes zu erfassen vermag.

Unabhängig davon bietet das Buch eine Fülle an kulinarischen Anregungen. Denn die hier im gemeinsamen Gedankenaustausch der beiden Kollegen entstandenen Rezepte lesen sich wie die Essenz der Elemente und des Waldes. Ein Buch, das kulinarische Pionierarbeit leistet. Das Schöne: man sollte erst einmal die Küche verlassen und eine Wanderung im ruhigen Wald unternehmen. Die Lektüre des Buches sorgt dafür, dass man nun mit offenen Sinnen neue Eindrücke sammelt und mit reicher Beute an den heimischen Herd zurückkehrt.

 

Tartuffel empfiehlt:

Heiko Antoniewicz, Ludwig Maurer: Wilder Wald. Das Kochbuch. Matthaes Verlag, Stuttgart 2019, 240 S. geb., 79,90.  

 

 

 

 

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