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Küche spricht Deutsch

„Man spricht Deutsch!“ Auf den ersten Blick stellt sich natürlich die Frage, weshalb „Der Feinschmecker“ gerade diese Überschrift für ein Editorial wählt. Erinnert sie doch eher an den gleichnamigen Film von Gerhard Polt als an eine Rezeptsammlung deutscher Küchenklassiker.

Wolfram Siebeck kürt Küchenklassiker

Der geneigte Leser erkennt aber bald, dass es sich bei dem in Zusammenarbeit mit Wolfgang Siebeck entstandenen Bookazine des „Feinschmeckers“ nicht nur um Rezepte der Deutschen Küche handelt.

Vielmehr geht es um die Sprache als Träger eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Wir lernen: Rezepte sind keine unveränderlichen Dogmen, denen verkrampft in aller Einzelheit zu folgen ist, sie sind lediglich ein Gerüst, mit dessen Hilfe eigene Vorlieben und kulinarische Überlegungen in die Tat umgesetzt werden.

So geht es bei den vorgestellten 60 Klassikern der Deutschen Küche nicht nur darum, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Vielmehr bespricht das Bookazine jedes einzelne Gerichte in einer Siebeckschen Interpretation – und das heißt als moderner Klassiker. Dabei sind die Rezepte und Zutatenlisten selbst lediglich kleine Fingerzeige in diesem Band. Sie eröffnen nur die Rede über diese Kreationen und erweitern so den Raum, den es benötigt, um aus einem simplen Gericht überhaupt erst einen Klassiker entstehen zu lassen. Letztlich geht es Siebeck darum, seine Leser zu einem lockeren Gespräch über das Essen, die Rezepte, ihr Entstehen, ihre Variationsmöglichkeiten , über den Geschmack und den individuellen Genuss einzuladen.

Rezepte zum Sprechen bringen

Siebeck, der gerne als „Mann mit der scharfen Zunge“ vorgestellt wird, zeigt sich hier in seiner besten Rolle: dem kulinarischen Spiel mit bodenständigen und einfach genialen Rezepten, ihren Zutaten und den Geschichten, die sie zum Sprechen bringen.

Dabei hält sich Siebeck gerade nicht an die Vorgabe, alles „deutsch“ machen zu wollen. Er begrenzt seinen Kochtopf nicht auf die Küche einer Nation sondern sieht in der erneuerten Fusion der Zutaten den geeigneten Zugang zu den Klassikern der Deutschen Küche. Also taucht auch gerne mal ein Schinken aus Italien auf oder ein Calvados aus der Normandie. Wer über solche Ingredienzen stolpert, sollte sich fragen, weshalb solche Neuerungen und Verbesserungen verpönt sein sollten. Oder, wie Siebeck es ausdrückt: Woher kommt denn das Gummi der Reifen an den deutschen Markenwagen? 

Wenn Siebeck seine Kalbsbäckchen in Ruhe im Bratenfond zu einem Gericht mit nahezu vollkommenen Sauce reifen lässt, lauscht er den Liedern von Slim Gaillard und gibt mit der Nennung der Titel zu erkennen, dass er ein Freigeist ist, der seine Leser nicht nur für gutes Essen sondern ebenso für den Spaß an der Kochkunst begeistern will. 

Lust der Erinnerung

Dass dieser Band Kutteln als eine klassische Delikatesse präsentiert, gehört zu den angenehmen Details des kleinen Buches, welches in Zusammenstellung und Art der Zubereitungsvorschläge manch klassische Rezeptsammlung überflüssig werden lässt. Zumal es den Leser nicht bevormundet sondern zum eigenen Denken animiert und das ist schließlich die Grundlage, um Spaß am Herd zu entwickeln.

Bei Siebecks Erzählungen zu Apfelstreusel habe ich mich unweigerlich an die Streuselkuchen meiner Oma und den Applecrumble meiner Mutter erinnert gefühlt. Zusammen mit meiner Tochter setzte ich also Rosinen und Äpfel in Riesling auf den Herd, sparte an Zucker, geizte aber nicht mit Zimt, verbrauchte Vanille verschwenderisch und fabrizierten durch Siebecks Anregung den leckersten Apfelstreusel. Alles in den Herd und schon nach kurzer Zeit drangen die herrlichen Gerüche aus dem Ofen. Dabei nahmen wir uns jede Menge Zeit, miteinander zu sprechen. Natürlich Deutsch.

Für Sie gelesen:
Wolfram Siebeck: Siebecks Deutsche Küche. 60 einfache & gastliche Rezepte. Der Feinschmecker. Bookazine Nr. 22

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