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Impulsgeber und kulinarischer Experte: Heiko Antoniewicz | © Antoniewicz

Unser Essen in der Zukunft

Wir alle vermeiden es normaler Weise sorgsam, darüber zu reden, oder gar darüber nachzudenken. Doch wir alle wissen, dass mit unserem Ernährungssystem so einiges falsch läuft. Quälende Massentierhaltung, Monokulturen und der Verlust von mehr als 60% der Lebensmittel, bevor sie überhaupt in die Großmärkte kommen.

Vortrag von Heiko Antoniewicz auf der Jahrestagung des FEC

Dazu das immer weiter genormte Angebot der Supermärkte, die ihrerseits einen erheblichen Teil ihres Bestandes nicht verkaufen, sondern entsorgen, damit die Angebotstheken auch mitten in der Nacht noch prall gefüllt sein können. Daneben wissen wir, dass ein Großteil der Weltbevölkerung an Hunger leidet und die Menschheit auch in Zukunft weiter wachsen wird. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir nicht nur Fragen nach der Zukunft des Essens stellen, sondern tatsächlich auf Veränderungen hinarbeiten müssen.

Der Food Editors Club nahm diese Überlegungen zum Anlass, um an seinem 50. Jahrestag nicht nur auf die eigene Geschichte zu schauen, sondern den Blick gleichfalls in die Zukunft zu richten. Dazu beschloss man, mit Heiko Antoniewicz einen der renommiertesten Köche und von der gastronomischen Szene Deutschlands zum zweiten Mal in Folge gewählten Impulsgeber zu einem Vortrag zum Thema Zukunft des Essens einzuladen. 

Unser Essen in der Zukunft

Heiko Antoniewicz ist Koch, Dozent und international gefragter Gastredner. Denn durch seine langjährige Beschäftigung zu grundlegenden Aspekten des Kochens, besonders aber durch seine profunden Bücher und seine trennscharfe Analyse, mit der er auch bei globaler Behandlung des Themas das Kochen selbst nicht aus Blick verliert, hat er sich einen Ruf als erstklassiger kulinarischer Experte erworben.

In seinem Vortrag konzentriert sich Heiko Antoniewicz nicht auf das Wünschenswerte kulinarischer Entwicklung, sondern markiert anhand der Deutung von Trends und Notwendigkeiten seine Vision der Zukunft des Essens. Dabei behandelt er Themen wie die Entwicklung der Restaurants, die Entwicklung der zukünftig verwendeten Rohstoffe als auch die Veränderung im Profil des Berufs Koch, sowie die Veränderungen der Essgewohnheiten gleichrangig. Denn alle haben eine eigenständige Bedeutung, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung kulinarischer Trends, als auch bei der Berücksichtigung von zukünftigen Notwendigkeiten.

Was ist Heimat?

Einführend gibt Heiko Antoniewicz einen Einblick in aktuelle kulinarische Überlegungen, die ihn zu der Frage bringen, wie Heimat schmeckt? Welche Zutaten, welche Lebensmittel, welche typischen Gerichte kann man hier vorfinden? Wie kann man diese so zubereiten, dass sie geschmacklich und ästhetisch ansprechend präsentiert werden können? Doch schon hier bleibt der Fokus nicht an der Oberfläche stehen. Die Fragestellung selbst wird zum Ausgangspunkt einer Begrenzung auf die regionalen kulinarischen „Rohstoffe“, die erst den Blick für Unbekanntes öffnet. Verweilt man in seiner Heimat, bekommen die dort vorhandenen Produkte gleich einen anderen kulinarischen Stellenwert. Das alte Denken von hochwertigen Lebensmitteln zu anderen wird grundlegend durchbrochen. Wertig sind hier alle Lebensmittel und mit der Wertigkeit steigt auch die Idee, sie möglichst vielseitig kulinarisch zu nutzen. Dies ist – wenn man so will – ein ganz traditioneller Gedanke, der in der traditionellen Küche Anwendung findet, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad, denn wir sind gleichzeitig daran gewöhnt, große Teile der Lebensmittel gar nicht kulinarisch zu sehen, sondern sie wie Abfall zu behandeln. Zu Unrecht, wie Antoniewicz mustergültig am Beispiel von Raps mit seinen unterschiedliche  Erntezeiten aufzeigt. Der junge Raps kann wie Spargel, die Spitzen vor der Blüte wie Brokkoli zubereitet werden. Die Rapsblüte kann zu einem Pesto oder Cremes verarbeitet, die jungen Bohnen gedünstet werden.  Auch die Wurzeln können verarbeitet werden, in diesem Falle schlägt Antoniewicz einen kräftigen Sud vor und natürlich kann man die Pflanze wie gewohnt zur Speiseölgewinnung nutzen.

Schon dieses Beispiel zeigt, wie wichtig in Zukunft das Foraging, das Sammeln regionaler Kräuter und Pflanzen, werden wird, wobei die Frage der saisonalen Beschäftigung mit Speisen weiter in den Vordergrund rückt. Gleichzeitig dient die Wertschätzung bisher eher stiefmütterlich behandelter Produkte, wie z.B. vegetarischer Lebensmittel dazu, hier verstärkt alle Teile zu verwerten. Dies liegt nicht in erster Linie an wirtschaftlichen Notwendigkeiten – in der modernen Küche wird die Arbeitskraft die teuerste Zutat sein – als vielmehr an kulinarischen Überlegungen: welche kulinarischen Finessen halten die regionalen Lebensmittel für einen findigen Koch bereit? Durch diese Fragestellung geschieht Neues, nicht durch den Bezug von Lebensmitteln quer über den Globus. Hier gibt Antoniewicz einen weiteren Einblick in die exotische Vielseitigkeit regionaler Rohstoffe: wie kann man Eicheln verwenden? Wie den trotz seines exotischen Namens bei uns heimischen asiatischen Rhabarber? Was auf den ersten Blick so aussieht, wie eine Beschäftigung mit einer Notküche für arme Zeiten, entpuppt sich schnell als wahre Ideenkiste. Denn hier werden nicht nur die kulinarischen Vorteile der Stile von Sonnenblumen oder der Eselsdistel vorgeführt, sondern auch der Geschmack von Schinkenwurzel und Nachtkerzen zur Sprache gebracht und schon merkt man, welche regionale Fülle kulinarischer Komponenten man bisher noch gar nicht beachtet hat, um von der Verwendung heimischer Pilze an dieser Stelle erst einmal gar nicht zu sprechen.

Trends, Verfahren und Veränderung

Die Vorteile einer solchen neuen regionalen Küche liegen auf der Hand: kurze Transportwege, frische Produkte und die Neuentdeckung. Damit einhergehend gibt es hier keine genormten Erwartungen, die Köche können ihre Kreativität unter Beweis stellen, denn sie müssen nicht klassische Aromenbilder erzeugen, sondern dürfen für Überraschungen bei den Gästen sorgen. Hinzu kommen die Verfahren der Haltbarmachung, hier wird die Technik der Fermentation in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen, wie man in einigen Restaurants, die sich das Thema der Regionalität auf die Fahnen geschrieben haben, schon heute sehen kann. Dabei wird es sicherlich dazu kommen, dass der Fleisch/Fischanteil der Gerichte weiter zurückgehen wird. Gleichzeitig kommt es nicht darauf an, dass man seinen Gästen Verzicht predigt, sondern durch die Vielzahl der Komponenten und Geschmacksbilder für eine Bereicherung und damit auf lange Sicht für eine Veränderung der Essgewohnheiten sorgt. Denn so sicher es in Zukunft Laborfleisch geben wird, wird man nach geschmacklichen Alternativen für Fleisch und Fisch suchen, zunächst aus ethischen, später auch aus ganz praktischen Erwägungen heraus. Denn insgesamt benötigen wir eine Veränderung unserer Essgewohnheiten und der damit einhergehenden Lebensmittelproduktion, ein bloßes "weiter so" kann es in absehbarer Zukunft global gesehen nicht mehr geben.

Ausbildung der Köche - Zukunft des Restaurants

Dabei aber wird es auch darauf ankommen, die Ausbildung der Köche zu verändern. Denn noch heute wird die vegetarische Küche im der Ausbildung in erster Linie als eine Küche des Weglassens so verstandener Hauptkomponenten wie Fisch und Fleisch gedacht. In Zukunft aber muss das kulinarische Verständnis dazu führen, alle Lebensmittel – also auch die bis heute unbekannten oder selten zur Anwendung gebrachten heimischen Exoten als gleichwertig anzusehen. Antoniewicz schließt hier die sogenannten Missfits ausdrücklich mit ein. Denn diese sorgen für wohltuende Abwechslung auf dem Teller. Wir sollten aufhören, in Normgrößen zu denken, dies ist kulinarisch gesehen eine Vermeidung von Kreativität. Auch hier sollte die zukünftige Ausbildung von Köchen fördernd eingreifen, denn das zukünftige Anforderungsprofil engagierter Köche wird dazu führen, dass sie verstärkt im Kontakt mit den Gästen und also auch im diskursiven Austausch mit diesen stehen werden. Denn, so der Ausblick des Vortrags, die lange sorgsam gehegten Grenzen in Restaurants zwischen Küche und Gastraum werden zunehmend verschwinden, der Koch wird mit seiner Tätigkeit eine zentrale Rolle einnehmen. Dabei möchte man ihm nicht einfach nur bei der Arbeit zusehen, sondern auch an seinem Wissen, seinen Ideen teilhaben und erfahren, welche Gedanken er sich zu seiner Küche und seinen Tellern macht. Es wird Zeit, dass wir den Koch nicht nur als Praktiker hinter dem Herd denken und damit wird es Zeit, dass wir die zukünftige Ausbildung von Köchen auch als eine akademische Aufgabe begreifen, denn in Zukunft geht es beim professionellen Kochen nicht um ein Sättigungsverfahren, sondern um die Vermittlung zentraler kultureller Werte. Das Essen der Zukunft? Hier ist es eine Bewusstwerdung und Reflektion regionaler Rohstoffe und ihrer kulinarischen Veredelung.

 

 

Editorische Notiz: Im Zuge der 50. Jahrestagung des FEC am 28.-29. April 2018 wurde Heiko Antoniewicz als neues Mitglied im Food Editors Club aufgenommen. 

 

 

 

 

 

 

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