Liebe
„Das ist aber mit Liebe gekocht.“ Eine Feststellung, die unterstreichen soll, dass etwas besonders gut schmeckt. In einer Steigerung dieses Sprichwortes postuliert man landläufig auch gerne, dass etwas, wenn es schmecken will, mit Liebe gekocht sein muss.
Eine Kalenderweisheit, die so schnell nicht zu verifizieren ist, schließlich erscheint die Liebe in keiner Zutatentenliste oder Rezeptanweisung. Doch macht man umgekehrt den Versuch und untersucht eine Tiefkühlpizza oder eine Tüte Chips auf ihrem Liebesgehalt, so stellt man sehr schnell fest, dass diesen Produkten eben doch etwas fehlt. Aber handelt es sich dabei um mangelnde Liebe? Wenn man in einem Restaurant isst, kann es vorkommen, dass das Essen großartig ist. Jedoch hat der Koch sehr wahrscheinlich weniger mit Liebe, als mit handwerklichem Wissen, Kalkül und unter Hochdruck gearbeitet.
„Wirklich anspruchsvolles Kochen erfordert genaueste Überlegungen: Kommunikation erfolgt nicht nur von Mund zu Mund, sondern auch von Gabel zu Zunge.“ Überträgt man das Zitat von Jürgen Dollase salopp von der Kommunikation auf die Körperlichkeit, dann könnte man festhalten, dass Liebende nicht nur der Küsse bedürfen, sie müssen sich ebenfalls bekochen, um sich ihrer Zuneigung mit jedem Bissen bewusst zu werden und sich verschlingen zu können. Die Bedeutung eines Essens kann nur der um seine Zubereitung Wissende in vollem Umfang erfassen. Was im Fall des Verliebtseins offensichtlich ist, benötigt eine Sensibilisierung rund um die Fragen des Essens, um die Feinheiten einer kulinarischen Komposition mit den Sinnen erfassen zu können. Jenseits der Liebe sollte dann – so ist das Diktum Dollases zu verstehen – die Wahrnehmung in Worte gefasst werden.
Stellt man sich die Frage, weshalb wir stets Gemeinschaft suchen, um zu essen, kommt man schnell zu einer grundlegenden Erkenntnis: Essen ist das unscheinbare aber unhintergehbare Bindeglied einer Gemeinschaft. Erst das Essen schafft die Gemeinschaft und integriert den Einzelnen, angefangen an der Mutterbrust, die ganz direkt veranschaulicht, dass Essen stets mehr als reine Nahrungsaufnahme ist. Wärme, Geborgenheit, Geruch und darüber hinaus auch Kommunikation, sind der Mehrwert des Essens. Kein Wunder also, das man sich in allen menschlichen Kulturkreisen zum Essen trifft.
So gesehen ist die gastrosophische Liebe etwas anderes als Agape, die Liebe des christlichen Verständnisses, oder gar die verzehrende Erotik. Denn mit dem Essen gemeinte Liebe gibt sich nicht interesselos und einseitig. Sie funktioniert durch Gegenseitigkeit. Auch mit der mittelalterlichen Minne hat diese Art der Liebe nichts gemein, denn weder kocht man, um das Essen schlecht werden zu lassen, noch begibt man sich zu Tisch, um die dargebotenen Speisen unberührt zu lassen. Die gastrosophische Liebe hat einen praktischen Bezug, sie geht durch den Magen, kann durch Genuss Glücksgefühle auslösen, in einen anderen Gemütszustand versetzen und die Sinne beleben. Essen ist dabei zugleich auch eine Verinnerlichung. Wer am Leben bleiben will, muss essen. Wobei Liebe eine der lebendigsten Vorstellungen des Lebens darstellt. So verstanden kann in einer Mahlzeit, gleich ob Tellergericht oder Menü eine Menge Liebe stecken und kann sie viel Liebe wecken.