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Ausschnitt des Buchcovers. | © Manesse Verlag Zürich

Snob

Der Snob hat mit gutem Geschmack genau so wenig zu tun, wie das Essbesteck mit der Qualität der Speise. Kaum ein literarisches Werk zielt treffsicherer auf die eingebildete Urteilskraft des Menschen als William Makepeace Thackerays „Buch der Snobs“.

Thackerays „Buch der Snobs“ entlarvt die gastrosophische Leerstelle des Scheins

Lebte William Makepeace Thackeray noch unter uns, hätten wir längst verstanden, dass Investmentbanker und Börsenspekulanten Snobs sind.

Zweifellos haben diese das menschliche Maß der Dinge verloren, erheben sie sich selbstherrlich über die reale Welt des Existentiellen und blicken verächtlich auf die Dimension des Normalen herab. Ihre Bewunderung gilt nur ihres gleichen, genauer, jenen unter ihnen, die noch irrsinnigere Summen jonglieren und mit noch abenteuerlicheren Geschäften hausieren gehen. Insofern greift Thackerays Definition des Snob unverhohlen deutlich: „Wer Erbärmliches erbärmlich bewundert, ist ein Snob.“

In 52 Kapitel gliedert sich Thackerays „Buch der Snobs“ und wirft dabei einen Blick in jede gesellschaftliche Ecke des Englands zu seiner Zeit. Von königlichen Snobs berichtet es ebenso wie von den militärischen und geistlichen. Der Autor gießt seinen Spott über politische und literarische Snobs und steigt ihnen in den Clubs, auf dem Land und in der Ehe nach. Ein Finanz- oder Börsen-Snob findet sich im Übrigen nicht in diesem Panoptikum des Dünkels. Diese Spezies besaß in den Jahren 1846 und 1847, als Thackeray seine Gesellschaftskritik im wöchentlich erscheinenden Satiremagazin „Punch“ veröffentlichte, noch nicht die traurige Relevanz heutiger Tage.

In unserer krisendurchwirkten Gegenwart, in der die Satire zu Unrecht aus der Mode gekommen ist, weil die Wirklichkeit selbst schon die Verzerrung in sich trägt, ist das „Buch der Snobs“ ein ebenso sentimentales wie scharfsinniges Leseerlebnis. Ein Verdienst, das nicht zuletzt der neuen Übersetzung von Gisbert Haefs zukommt, die nun – 165 Jahr nach Druck des ersten „Punch“ Artikels – als wohlfeiler Band in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur erschienen ist. Sentimental, da Thackeray uns in eine Epoche zurückführt, in der die politischen Grenzen zwischen aufklärerisch und reaktionär, fortschrittlich und konservativ noch einfach zu ziehen waren. Ungeheuer scharfsinnig, weil es sich beim „Buch der Snobs“ eben nicht um eine politische Typologie der damaligen Zeit handelt, sondern darin ein fehlgeleiteter Trieb nach sozialer Distinktion beschrieben ist, dem auch heute noch in allen Lagern gehuldigt wird.

Nachäffende Proleten

Die genaue Abstammung des Wortes liegt im Trüben. Es ist jedoch eine erste Aufschneiderei, den Ausdruck Snob wortgeschichtlich auf das lateinische „sine nobilitate“ zurückzuführen. Die Geste stimmt, allein die Wahrheit ist es nicht. Dazu führt Gisbert Haefs in den Anmerkungen aus: „wahrscheinlicher ist die Abstammung von engl. Snob (schott. Snab), „Schusterjunge“, „Schuhmacherlehrling“, ab ca. 1795 in Cambridge in der Bedeutung „Stadtbewohner“, „Krämer“ bzw. „Nichtakademiker […] ab ca. 1830 in London als „Prolet“, „Unterschichtler“. In der Bedeutung „Prolet, der die Vornehmen nachäfft“ wohl erst seit 1843 verbreitet.“

Allen etymologischen Hinweisen ist eines gemeinsam: Sie beschreiben zunächst einen Blick von unten nach oben. Das feine, gebildete, adlige Mitglied der Gesellschaft gilt ungeachtet seiner Verdienste dem Proletarier von ganz unten zwangsläufig als Orientierungsmarke, als Ziel seiner sozialen Wünsche. Später wird der Snob gewordene Unterschichtler selbst nach unten schauen – und treten – ohne dass er inzwischen feinsinnig, wissend oder blaublütig geworden wäre. Indem Thackeray diesen Blick auf das Benehmen bei Tisch sowie die Dinner-Kultur jener Zeit richtet, findet er eine gastrosophische Dimension des Snobs.

Silbergabler

In der Vorbemerkung zur Buchausgabe von 1847 erklärt Thackeray sein Talent, das Wesen des Snobs zu ergründen, mit einem Vergleich. Er wolle „Snobs in der Geschichte aufzuspüren, wie gewisse kleine Hunde in Hampshire Trüffel aufspüren“. Es ist also seine Sinneswahrnehmung, die Thackeray zum Snobologen und Gastrosophen werden lässt. Passend hierzu tragen viele der Personen, die er des Snobismus überführt, Eigennamen, die der Welt des Essens und Trinkens entlehnt sind. Wir lesen von Herrn Panwhiski, den Marquis von Marmelade und Gräfin del Spinachi und erfahren mehr über Sir John Champingnon oder die Einwohner aus Mangelwurzelshire.

Diese satirische Fährte führt Thackeray zu der alternativen Definition des Snobs als Mitglied der „Silbergabelschule“. Im ersten Kapitel berichtet der Autor von seiner Freundschaft zu Oberst Snobley, die er sofort aufkündigte, nachdem er erleben musste, wie der Oberst „Erbsen mit Hilfe eines Messers aß“. Die Freundschaft wird wiederbelebt, nachdem der Erzähler bei einem zweiten Dinner mit „Staunen“ und „Entzücken“ Snobley „wie einen rechten Christenmenschen die Gabel verwenden sah“. Die silberne Gabel als Statussymbol ist dem Snob halt wichtiger als ihre Funktionalität beim Erbsenessen. Das wertige Silber des Essbestecks kontrastiert mit dem „kalten Stahl“ des proletarischen Messers. Der Snob als Silbergabler verweist zudem auf die literarische Strömung der „Silver-fork novels“, die in den 1820er und 1830er Jahren in England regelrechte Bestseller sind. Sie dienen den Lesern als literarische Anstands- und Benimmfibel, die aus den Konventionen des englischen Landadels auf den guten Gesellschaftston schließen und diesen Stil zum Vorbild für das feine England machen.

Etikettenschwindel

Doch mit der gesellschaftlichen Etikette ist es wie mit dem Etikett auf der Flasche: Sie sind dem eigentlichen Inhalt äußerlich, sie können eine Qualität versprechen, sind dieser aber nicht gleichzusetzen. Thackeray zeigt immer wieder, wie dieser Etikettenschwindel dem Glück des Snobs im Wege steht. Sein Dünkel verstellt ihm wahre Einsicht – und damit wahren Genuss. So entgeht dem Snob das sinnliche Vergnügen eines „dîner en gormand“, weil es „minderwertig“ sein muss. Dazu bedarf es keines sensorischen Urteils sondern schlichtweg der Überzeugung, dass der Chefkoch des Hotels in Brüssel niemals so gut sein kann wie der Kollege im Pariser „Rocher“. Nach dem gleichen Muster betrügt sich der Snob, der sich als größter Wein „Connaisseur“ ausgibt. Sein Geschmacksurteil wiederholt allein, was das Etikett vorgibt. Das Geschmacksvermögen selbst besitzt keine Relevanz, es bleibt – Ironie des Etikettenschwindels – ebenfalls außen vor.

Thackeray entlarvt diese gastrosophische Leerstelle der Snobs gnadenlos. Dem sinnlichen Genuss selbst Raum zu geben, ihn literarisch zu zelebrieren, heißt jedoch, vom „Buch der Snobs“ zu viel zu erwarten. In den Kapiteln über den Landaufenthalt des Autors deutet sich an, welches kulinarische Glück selbst im schlecht beleumundeten England zu erwarten ist. Doch die Satire ist kein Roman und Thackeray kein Balzac. Seine Umschreibung des einfachen Glücks, mag dem heutigen Leser dennoch eine Empfehlung sein: „Sein Häuschen war ein Muster an Eleganz und Behaglichkeit; Tisch und Weinkeller waren vorzüglich und wohlversehen. Es gab allerlei Genuss, aber keinen Prunk.“

Für Sie gelesen:
William Makepeace Thackeray: Das Buch der Snobs, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich, 2011
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