Tradition denkend essen - Malte Härtig: Einfachheit
Malte Härtig gelingt die Einfachheit
Etwas Neues ereignet sich im Prag des Jahres 1902. Das Bürgertum, besonders jenes von der Lebensreformbewegung beeinflusste, entdeckt japanische Kunst für sich. Und es ist kein geringerer als Franz Kafka, der sich davon tief beeindruckt zeigt. Die betörende Schlichtheit zeige ihre Finesse gerade in ihrer Reduktion. Und es ist sehr wohl vorstellbar, dass Kafka in der Konfrontation mit dem Minimalismus der Kunst einer anderen Kultur, zum ersten Mal den befreienden Gedanken erfasste, dass diese Form der Einfachheit nicht zwangsläufig in die Niederungen einer bloßen Volkstümlichkeit führen muss, sondern im Gegenteil selbst zur Kunst avancieren kann.
Heute ist es die Kunst des Einfachen, welche uns an der japanischen Küche in den Bann zieht. Doch was bedeutet Einfachheit? Malte Härtig hat sich dieser Frage in den Küchen den japanischen Kaiseki-Küche – wenn man so möchte die japanische Hochküche - genähert und dabei gemerkt, dass es gerade das „Einfache“ der japanischen Küche ist, dem man sich langsam nähern muss, da es für den Außenstehenden schwierig ist, alle Vorannahmen zu erblicken. Denn das Einfache ist in Japan eine Kunst und nicht eine Schlichheit. Dem Koch kommt in diesem Prozess in erster Linie die Funktion zu, nach Möglichkeit nicht zu kochen, sondern die Lebensmittel durch Schnitte und Arrangements zur Geltung zu bringen. So gesehen avanciert der Koch zu einem Autor, der dem Gast Lektüre auf dem Teller anbietet. Doch greifen wir nicht vor.
Was aber ist die japanische Hochküche?
Die japanische Küche erfreut sich seit Jahren wachsender Beliebtheit. Neben der zunehmenden Zahl der Sushi-Restaurants hat vor einigen Jahren der Paradigmenwechsel des Guide Michelin aufhorchen lassen, als er sich der ostasiatischen Küche nicht nur wohlwollend zuwandte, sondern vor allem zahlreiche japanische Restaurants mit Sternen auszeichnete. Dies ist besonders bemerkenswert, da die japanische Küche sich in den Arten der Essenszubereitung stark von den modernen europäischen Spitzenküchen, besonders aber von der klassisch französischen Küche fundamental unterscheidet. In der klassisch geprägten französischen Küche wird von einem Koch erwartet, dass er sein Können und seine Arbeit zum Zwecke des höchstmöglichen Genusses einsetzt. Die jeweilige Hauptkomponente soll durch die weiteren Komponenten auf dem Teller lediglich in ihrem aromatischen Profil gestärkt, aber auch die handwerkliche Kunst des Kochs, oder der Küche unter Beweis gestellt werden. Ganz anders in der japanischen Hochküche, in deren Ideal der Koch zum verschwindenden Vermittler, zum Arrangeur durch Schneidetechnik und Komposition der Dinge wird.
Einfache Küche wird bei uns gerne mit dem Genuss einfacher Dinge assoziiert, doch selten selbst als Kunst gesehen. Ein Currywurst, ein Spiegelei, ein Brot sind solche einfachen Dinge, die jedoch zumeist profan sind, da es für uns zumeist nicht um ihren kulturellen Wert geht. Wir verschlingen sie einfach. Vielleicht könnte ein gutes Brot mit seiner kulturellen Geschichte eine Analogie der Einfachheit bilden, um dem Fremden das Eigene nicht nur entgegenhalten zu können, sondern um in der bekannten kulinarischen Errungenschaft Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzeigen zu können, mithin den Raum für konkrete Vergleich zu eröffnen. In seinem Buch „Einfachheit“ geht es Malte Härtig jedoch geht es nicht um Analogien, er schlägt den schwierigeren strukturellen Weg ein. In seinem Buch zeigt er auf, wie komplex das Thema dieser Einfachheit ist, wie viel Überlegungen, wie viel kulturelle Vorannahmen und wie viel Arbeit dahinter steckt, kulinarische Einfachheit in der japanischen Hochküche zu erzeugen. Dabei geht es nicht um einfachen Genuss, sondern im Gegenteil, um eine gewisse Distanz zum Essen, die „ein spezifisches Erleben im Jetzt durch ein Zusammenfallen von kategorialen Grenzen möglich“ macht.
Dinge grundsätzlich angehen
„Eine kulturphilosophische Untersuchung der japanischen Kaiseki-Küche“ wie das Buch im Untertitel bezeichnet wird, widmet sich dabei grundsätzlich den "Dingen". Denn hier geht es weder um Lebensmittel, Zutaten oder Rohstoffe zur Verarbeitung. Den Dingen der Kaiseki-Küche kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie für sich stehen, also von einer direkten Funktion befreit sind. Dabei ist es wichtig, dass die Dinge saisonal angeboten werden, eben dann, wenn sie den besten Geschmack haben. Insofern ist die Antwort auf die Frage, was Kaiseki ausmacht: „Die Saison essen.“ Und allmählich begreift man, dass hier etwas anderes auf den Teller kommt, als einfach nur ein Lebensmittel, es geht hier nicht nur um Nahrung des Körpers, sondern immer auch um den kulturellen Wert, der mit dem Essen vermittelt wird. Die Frage danach, was eine Aubergine eigentlich ist, führt so betrachtet unweigerlich zu der Frage, was eine gute Aubergine sein kann. Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, macht sich der Koch ans Werk, um das Gute der Aubergine zum Ausdruck zu bringen. Es gibt verschiedene Auberginenarten, die auf unterschiedliche Weisen ihren je besten Ausdruck erhalten. Hier soll es lediglich um eine Art gehen, die sich zum Hauptakteur eignen und sich folglich nicht als Teamplayer etwa als eingelegte Beigabe zu rohem Fisch eignen. Wie kann man die Aubergine perfekt in Szene setzen? Was ist das Schöne, was das Besondere an ihr. Ihr Farbe, ihr Geruch, ihr Geschmack? Wie kann man der Aubergine die beste Bühne verschaffen um ihr einen möglichst perfekten Auftritt zu bereiten? Die Frage für den Esser besteht im Umkehrschluss darin, das dargereichte Ding zu deuten: was ist hier die Arbeit des Kochs, welchen Zusammenhang möchte er dem Esser verdeutlichen? Was ist – um im Beispiel zu bleiben – seine Idee der Aubergine. Dabei – und hier liegt ein wesentlicher Unterschied der kulinarischen Transformation – geht es um kulturelle Überlegungen und nicht um die des reinen Geschmacks. Wo kommt die Aubergine her? Was macht sie aus? Und erst nach dieser stillen Kontemplation wird der Frage nachgegangen, wie das Gemüse schmeckt. Dies alles verstanden als Ausdruck der schweigenden Kommunikation zwischen Koch und Gast. Dabei geht es nicht darum, sich satt zu essen, sondern darum, sich glücklich zu essen. Essen wird so zu einer Einkehr, die nicht nur alle Sinne erfasst, sondern auch den Geist jenseits der sinnlichen Reize aktiviert. Und Härtigs Verdienst besteht darin, dem Leser nicht nur vor Augen zu führen, sondern auch verständlich zu machen, was das Einfache der japanischen Hoch-Küche ist: Die absolute Reduktion auf die wesentlichen Fragen nach dem Wesen des Lebensmittels, das kulturell dann als Ding bezeichnet wird, dessen Besonderheit man als Koch, möglichst ohne zu kochen, herausarbeiten möchte in Verbindung mit dem zweiten Strang kultureller Annahmen: den Stillen Dialog mit dem Esser über das Essen herzustellen. Wie kann ich dem Gast meine Ideen mitteilen? Welche Aussagen möchte der Koch treffen? Dies aber funktioniert nur, wenn die Rahmenbedingungen gesteckt sind und beide Seiten um diesen stillen Dialog wissen. Härtig muss in seinem umfangreichen Buch einen weiten Bogen schlagen, um dem Leser nach Beendigung der Lektüre sinnbildlich zu zeigen, was kulinarische Einfachheit ist. Denn erst nach der Lektüre hat man verstanden, dass es sich bei der japanischen Kaiseki-Küche nicht um Formen der Nahrungsaufnahme, als vielmehr um das Lesen kultureller Codizes handelt. Der Esser verwandelt sich in einen Leser, der Koch in einen Autor. Das Lebensmittel verwandelt sich als Ding zum kulturellen Träger des stummen Dialogs zwischen Autor/Koch und Leser/Esser. Damit wird das Essen selbst von der reinen Nahrungsaufnahme entkoppelt und zu einem kulturellen Akt. Denn Essen dient hier nicht schlicht der Nahrungsaufnahme, es wird gelesen. So gesehen soll Essen nicht satt, sondern glücklich machen. Ganz einfach.
Diese Einfachheit sichtbar und damit für die europäische Kultur und Küche anschlussfähig gemacht zu haben, ist das nicht zu gering zu schätzende Verdienst der hier vorliegenden Dissertation. Der Einfluss der japanischen Hochküche auf die europäische Spitzengastronomie ist schon jetzt, denkt man an die neuen Konzepte der Einfachheit etwa in den unterschiedlichen Spielarten der Nova Regio Küche, spürbar. Dieses Buch bietet die Möglichkeit kulinarische Einfachheit kulturell umfassender und damit neu zu denken. Die Reflexion über japanische Kultur hat Kafka ja nicht nur zu seinen minimalistischen Zeichnungen animiert.
Malte Härtig: Einfachheit
Eine kulturphilosophische Untersuchung der japanischen Kaiseki-Küche. Wittener Kulturwissenschaftliche Studien Band 11. Könighausen und Neumann, Würzburg 2016. 402 Seiten, 58,-€