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Avantgarde des Regionalen

Heinz Reitbauer serviert im Wiener „Steirereck“ regionale Produkte. Mit seiner Zubereitung beweist er dabei nicht nur ein durchdachtes kulinarisches Konzept. Sein Stil, regionale Produkte zu veredeln, zeigt eine moderne Gastrosophie auf, die allen Grund hat, stilbildend zu wirken. Denn Reitbauer versammelt zahlreiche Ansätze zu einer sehr modernen Interpretation traditioneller Gerichte.

Perfekt - Heinz Reitbauer

Heinz Reitbauer ist ein Mann mit einem offenen Gesicht und wachen Augen. Während unseres Gesprächs ist er gleichzeitig locker und konzentriert. Es scheint seine Art zu sein. Wie er störende Fragen höflich, aber bestimmt abwehrt, wie er sich auf seinen Gesprächspartner einstellt und mit ruhiger und sicherer Stimme seine Antworten druckreif formuliert, zeugt davon, dass hier ein Mann spricht, der seinen Beruf und seine Überzeugungen lebt.

Das, was so überzeugend ist, und warum es so überzeugend ist, sollte man in Ruhe vorstellen. Heinz Reitbauer hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die in den kommenden Jahren sicherlich für Gastronomen beispielhaft sein wird und auf jeden Fall Schule machen sollte. Was er mit scheinbar leichten Mitteln unternimmt, ist nichts weniger als eine Revolution des Regionalen. Indem er traditionelle Konzepte auf regionale Spezialitäten anwendet, entwickelt er einerseits ein essentiell anderes Verhältnis zu seinen Produzenten und gelangt andererseits zu völlig neuen kulinarischen Kompositionen.

Saiblingfilet in Bienenwachs

Greifen wir nur eine Idee aus den Gerichten heraus, die im „Steirereck“ serviert werden, um den Ansatz von Heinz Reitbauer zu analysieren. Es handelt sich um ein Saiblingsfilet. Der zarte Geschmack des Fischfilets soll durch das Aroma von Bienenwachs nicht einfach parfümiert werden, sondern an Kontur gewinnen. Nun hört sich das Unterfangen, in einer Küche mit Wachs zu hantieren, ein wenig unkulinarisch an. Doch schon vor Jahren hat Stefan Wiesner, der „Hexer aus dem Entlebuch“, mit seiner avantgardistischen Küche gezeigt, wie vielseitig Naturprodukte in der Küche einsetzbar sind, wenn man nur eine durchgreifende Idee und einen schlüssigen kompositorischen Aufbau verfolgt.

Was also könnte den zarten Geschmack von Saiblingsfilets am besten zu Geltung bringen, ihn akzentuieren ohne ihn zu überlagern? Die Idee von Bienenwachs liegt  gar nicht so fern, wenn man sich erst einmal für die prinzipielle Möglichkeit seiner Verwendung interessiert. Lange Zeit hat Reitbauer in seiner Küche mit Wachs experimentiert und herausgefunden, dass er für seine Ideen lediglich zu 100 Prozent naturreinen Bienenwachs verwenden darf. Alle Wachssorten, die auch nur minimal mit Zusatzstoffen behandelt sind, eignen sich nicht für die sorgfältige Zubereitung dieses empfindlichen Fisches.

Hat man einen reinen unbehandelten Bienenhonig zur Verfügung, dann kann man die Saiblingsfilets mit dem erhitzten Wachs übergießen und dabei luftdicht abschließen. Das Aroma des Wachses dringt leicht in die Filets ein, während es sie innerhalb kürzester Zeit gart. Jetzt muss man die Filets lediglich aus dem Bienenwachs lösen und sie mit einem feinen Pinsel von Wachsresten säubern. Der Rest ist natürlicher Genuss pur.

System der Nachhaltigkeit

Doch mit diesem kleinen Fingerzeig spürt man weder die Bandbreite der Küche Heinz Reitbauers auf, noch beschreibt er die moderne Eleganz seiner Teller. Als exemplarischer Hinweis, wie meisterhaft es der Koch aus der Steiermark versteht, traditionelles Bewusstsein modern zu denken, hat er jedoch Berechtigung. Die wichtigsten Komponenten seiner Teller sind nicht die Fisch- oder Fleischstücke, um die herum alles weitere gereicht würde. Sein Hauptaugenmerk richtet sich auf die vegetarischen Komponenten, von denen er die meisten aus der direkten Umgebung bezieht. So findet man Baumspinat neben Ochsenmark, die heimische Birne neben den exotischen Komponenten Kichererbsen und Kreuzkümmel, den Zuckermais neben dem Shiso an der Seite von heimischem Lauch.

Reitbauer verfährt nach einem bemerkenswerten Prinzip: Er stellt die mittlerweile bekannten exotischen Ingredienzien gleichberechtigt neben heimische Zutaten, die beinahe in Vergessenheit geraten sind. Daneben besticht sein Konzept durch die sparsame Verwendung von Fisch und Fleisch, also einer sehr traditionellen Herangehensweise an das Essen. Schließlich war der Verzehr von Fleisch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts stets eine Besonderheit, die man nur wertschätzen kann, wenn man sie als Besonderheit wieder entdeckt.

Doch damit ist das System Reitbauer immer noch unzureichend erklärt. Es sind zwei andere - zentrale – Säulen, auf denen es gründet. Bei erster Betrachtung sind sie so modern, dass man vergisst, wie revolutionär ihr Bezug auf das Traditionelle wirklich ist. Denn Heinz Reitbauer – das verwundert noch nicht – hat als in der Steiermark verwurzelter Gastronom ein Netzwerk an Produzenten und Zulieferern geradezu kultiviert, welches ihn nicht nur erstklassige regionale Waren gewährleistet, sondern er hat hierbei gleichzeitig auf Erkenntnisgewinn und Nachhaltigkeit gebaut. Reitbauer nimmt seinen Zulieferern garantierte Mengen ihrer Produkte ab, was einen enormen planerischen Aufwand und lediglich temporäre Verfügbarkeit – etwa bei Birnen oder Nüssen – bedeutet. Zugleich vertieft er diese Beziehungen durch den Austausch von Mitarbeitern. Dem liegt ein einfacher, aber in der modernen, arbeitsteiligen Welt tiefgreifender Gedanke zu Grunde: Wenn das eigene Küchenpersonal beispielsweise bei der Ernte von Saisongemüse behilflich ist, vertieft sich nicht nur die Beziehung zum Produzenten, sondern zugleich das Bewusstsein für das Produkt. Es ist nicht mehr lediglich ein in die Küche geliefertes Nahrungsmittel, sondern ein Lebensmittel, dessen Werdegang man betreut hat. So entsteht eine tiefere Hochachtung vor dem Produkt mit der Folge, dass man davon absieht, es im Zweifelsfalle – wie in Zeiten des supermarktbedingten Überangebots üblich geworden – einfach zu entsorgen, sprich, es zu verschwenden.

„Steirereck“, „Meierei“ und „Pogusch“ – wechselseitige Ergänzung

Neben der austarierten Schärfe seines Konzepts geht Reitbauer praktisch noch einen Schritt weiter. Neben dem Gourmet-Restaurant „Steirereck“ betreibt er im selben Haus inmitten des romantischen Stadtgartens unmittelbar am Wiener Heumarkt sein Restaurant „Meierei“. Hier werden nicht nur Klassiker der österreichischen Küche frisch zubereitet, sondern vor allem fast schon von den Karten der europäischen Restaurants verschwundene Milchprodukte angeboten. Dies kann man wirklich nur leisten, wenn der Kontakt zu den Produzenten über Jahre gewachsen ist. Natürlich ist die Auswahl an steierischen Produkten kein Zufall, denn die Familie Reitbauers betreibt in der Heimatregion das Wirtshaus „Am Pogusch“, so hat man den direkten Draht zu den regionalen Produkten.

Der Dreiklang der Betriebe wird so zu einem strukturell harmonischen Akkord. Dem System Reitbauer wünscht man, dass es Schule machen wird und seinem Restaurant „Steirereck“, dass die Restaurantkritiker bald das zukunftsweisende Potential seines Ansatzes in voller Breite würdigen. Denn zwei Michelinsterne verweisen auf Bewertungsluft nach oben.

Linktipp:
Website des Restaurants „Steirereck“

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