Amuse Bouche: Prominente, Politiker und Präsidenten
Die Diplomatie der Kochkunst
Da ich jetzt regelmäßig auf der MS-Europa unterwegs bin, kann ich auf Grund meiner dort gemachten Erfahrung jungen Köchen und Köchinnen nur empfehlen, ihre Wanderjahre dazu zu nutzen, auch einmal auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. An Bord dieser Schiffe kocht man unter anderen Bedingungen als in den Küchen auf Land. Auf See muss man sehr präzise planen - eine Erfahrung, die für einen Koch von besonderer Bedeutung ist. Auf einem Schiff kann man nicht noch mal schnell etwas nachkaufen, sobald man Bedarf hat, wo sollte der Nachschub auf hoher See herkommen?
Außerdem lernt man verschiedene Kollegen aus der ganzen Welt kennen lernen und schult somit früh nicht nur sein Englisch, sondern beginnt vor allem damit, sein eigenes Netzwerk aufzubauen. So erhält man in den folgenden Jahren von den Kollegen Anregungen aus erster Hand und findet immer wieder Anknüpfungspunkte, um einmal in einem anderen Land arbeiten und sich weiterentwickeln zu können. Momentan gibt es für Köche, die auf einem Schiff in einem guten Restaurant arbeiten wollen, ein vielfältiges Angebot. In diesem Zusammenhang aber eine Bitte: Wenn Sie als junger Koch diesen Schritt gehen wollen, informieren Sie sich vorab sorgfältig und persönlich über die jeweiligen Angebote. Nur so können Sie sicherstellen, dass Sie das für sie beste Angebot annehmen.
Bonner Republik und die „feine Zunge der Nation“
Für mich selber gab es in meiner Laufbahn einige Herausforderungen und ich kann rückblickend versichern, dass es gerade diese nicht alltäglichen Dinge sind, die einen Koch besonders anspornen. Man wächst nicht nur mit seinen Aufgaben, wie es so schön heißt, sondern man setzt für sich auch persönlich als Koch Meilensteine. Damit meine ich zum Beispiel besondere Menüs oder Rezepte, auf die man bei späteren Gelegenheiten gerne zurückgreift, da sie immer auch eine Geschichte mitbringen, die man Freunden und Gästen gerne erzählt. Das ist sozusagen ein Mehrwert solcher Gerichte, die man unter besonderen Bedingungen gekocht hat: Neben den Zutaten auf dem Teller und dem Zusammenspiel der Aromen halten sie stets noch eine Geschichte parat. Gerade dies ist für einen Koch eine unschätzbare weitere Zutat. Denn so kann er mit seinen Gästen ganz beiläufig in Kommunikation treten und sicherstellen, dass sie neben dem kulinarischen Genuss noch etwas mehr mitnehmen. Etwas, das sie über den Abend hinaus begleiten wird.
In den siebziger Jahren der Bonner Republik hatte ich das große Glück, dass wir mit Walter Scheel einen wahren Genießer als Bundespräsidenten hatten. Er förderte die deutsche Küche und forderte damit auch die deutschen Köche heraus. Sein Ziel war es, seinen diplomatischen Gästen deutsche Kochkunst als ein Kulturgut zu offerieren, an das sie sich noch lange positiv erinnern sollten. Für die Spitzengastronomie war es ein großer Segen, dass mit Walter Scheel eine „feine Zunge der Nation“– wie er ja damals auch genannt wurde – sein Amt ausübte.
Anfrage aus dem Bundespräsidialamt
Es kam damals für uns völlig überraschend eine Anfrage vom Bundespräsidialamt. Die war zudem sehr ungewöhnlich. Sie würden gerne mit uns ein Essen für ausgesuchte Gäste in der Villa Hammerschmidt machen. Es gab damals eine richtige Veranstaltungsreihe, mit der Scheel internationalen Diplomaten die deutsche Gastronomie vorstellte. Das Konzept überzeugte: Es wurden bereits bekannte Küchenchefs eingeladen und dazwischen gab man auch jungen Köche des Landes diese besondere Gelegenheit sich vorzustellen.
In dieser Reihe lud Walter Scheel zunächst Eckart Witzigmann - der damals im „Tantris“ in München arbeitete - und dann uns Müller-Brüder ein. Es war eine große Ehre, denn verglichen mit dem Sternerestaurant aus München fühlten wir uns mit den „Schweizer Stuben“ doch eher ländlich orientiert. Umso mehr freuten wir uns, an dieser prominenten Stelle unsere Kochkunst demonstrieren zu dürfen.
Scheel war es damals wichtig, dass wir deutsche Produkte für das Diplomatenessen verarbeiteten. Damals fast eine Revolution, denn man orientierte sich in der Spitzengastronomie eher an den klassischen französischen Gerichten und ihren Zutaten als an einheimischen Produkten. Doch die Idee war ja durchaus sinnvoll, nicht nur aus diplomatischer Sicht. Heute diskutieren wir unter dem Stichwort „Regionalität“ über die Wertigkeit der heimischen Produkte und versuchen sie stärker ins Bewusstsein zu rücken. Dieser Trend war damals noch nicht abzusehen.
Natürlich fühlten wir uns sehr geehrt und sind mit der kompletten Mannschaft in die Villa Hammerschmidt nach Bonn gefahren. Es war also kein offizieller, sondern eher ein persönlicher, wenn auch sehr repräsentativer Rahmen. Die ganze Familie Scheel wohnte damals in der Villa Hammerschmidt, wo es eine große Küche gab. Insgesamt sollten wir für 25 Gäste kochen. Mildred Scheel und die Töchter besuchten uns zwischendurch bei der Vorbereitung in der Küche. Sie stellten immer wieder interessierte Fragen, so dass sich hier eine lockere Konservation fast wie von selbst ergab.
Roulade von Zander in Rieslingsauce
Wir haben das Menü wie gewünscht aus deutschen Produkten entwickelt und kochten eine Roulade von Zander in einer Rieslingsauce. Das Filet selber gaben wir in einer Farce von Lachs und Lachswürfelchen, so bleibt der schöne Fisch glasig und saftig. Das ganze verpackten wir in ein Spinatbett. So hatten wir ein schönes Zusammenspiel unterschiedlicher Farben, Aromen und Texturen. Scheel als Genussmensch hat uns damit eine Tür geöffnet, denn auf einmal schrieb man über „unser Restaurant auf dem Acker“. Es war ein großer Unterschied zum damals schon bekannten „Tantris“ das im Jahr der Olympischen Spiele in München eröffnet hatte und schon ein riesiges Renommee verbuchen konnte. Nun wurden auch wir mit den „Schweizer Stuben“ in Wertheim wahrgenommen. Dieses damals entworfene Gericht habe ich heute noch im Repertoire. In Wertheim haben wir es lediglich über die Jahre etwas weiter entwickelt und französisch angehaucht. So machten wir aus dem Rezept eine Roulade St. Pierre mit Zitroneneisenkraut (-Verveine)-Champagnersauce.
Das Verveine war damals noch gar nicht so bekannt, passt aber sehr gut in eine Fischsauce, weil sie einen feinen Geruch und bleibenden Zitronengeschmack verbreitet und dafür sorgt, dass das Essen leichter verdaulich ist. Schließlich soll ein Essen ein wahrer Genuss sein und den Körper nicht belasten. Am Ende des Abends in Bonn gab es übrigens ein ganz herzliches Dankeschön. Ich koche dieses Gericht auch heute noch gerne, es hat nichts von seiner Frische verloren. Ich liebe das Zusammenspiel der zwei Sorten Fisch mit dem Gemüse und der Sauce. Es ist immer noch ein wahrer Genuss und erinnert mich immer wieder an diese kulinarische Randnotiz der Bonner Republik.