Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Yannick Alléno: Französische Küche

Früher gab es Folianten für notarielle Zwecke, heute die kulinarische Bibel von Yannick Alléno. Alle, denen der Name nichts sagt, oder die beim Preis zurückschrecken, sei ans Herz gelegt: Legen Sie sich dieses Buch zu, Sie werden es nicht bereuen. Für alle anderen gilt – dieses Buch ist ein unbedingtes muss.

Yannick Alléno setzt ein Ausrufezeichen

Pünktlich zu seiner Auszeichnung zum „Koch des Jahres 2015 in Frankreich“ legt Yannick Alléno seine ganz persönliche Bibel der französischen Hochküche vor. Rund 25 Jahre Berufserfahrung fließen hier in 1500 Fotografien, 500 Rezepte und grandiose Gedanken zu den Aufbauten der Gerichte zusammen. Schon beim Blättern saugt man sich mit kreativen Ideen und zahlreichen Informationen voll. Und es scheint so, als dürfe man hierzulande nach Bocuse, Rebouchon und Ducasse nun den neuen Star-Koch unseres Nachbarlandes kennen lernen, der wie seine Vorgänger der Küche Frankreichs seinen eigenen Stempel aufdrückt. Das Buch legt davon auf nicht weniger als 780 großformatigen Seiten eindrucksvoll Zeugnis ab.

Yannick Alléno

Der 1968 im westlich von Paris gelegenen Puteaux in eine Kochfamilie hineingeborene Yannick Alléno saugt die Kochbegeisterung mit der Muttermilch auf. Schon als Kind werkelte er gern in der Küche. International macht er 1999 mit einem zweiten Rang beim "Bocuse d´Or" auf sich aufmerksam. 2003 wird er Chefkoch des Restaurants im „Hôtel Le Meurice“ im 1. Arrondissement von Paris und damit Vorgesetzter einer 74-köpfigen Mannschaft. Auf Anhieb wird das Restaurant unter seiner Leitung mit zwei Michelin Sternen ausgezeichnet, bevor es 2007 den dritten Stern verliehen bekommt. Diese Auszeichnung führt es bis heute ununterbrochen. 2014 übernimmt er mit dem „Ledoyen“ ein weiteres Pariser Restaurant.

Von sich selbst sagt Alléno, dass er in drei Akten kochen gelernt hat. Wenn er davon erzählt, dann erfährt der Zuhörer en passant den kulturellen Initiationsritus des Kochens, der ein wenig an französischen Buddhismus erinnert:

„Ich habe in meinem Leben drei Mal kochen gelernt. Als Kind habe ich meiner Mutter in der Küche des Bistros, das sie betrieb, bei der Arbeit zugesehen. Dort lernte ich zum ersten Mal kochen, indem ich sie nachahmte. Später, zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn, haben mehrere Küchenchefs genügend an mich geglaubt, um mich in ihren Küchen einzustellen. Bei ihnen habe ich zum zweiten Mal kochen gelernt. Das hat Jahre in Anspruch genommen. Heute lerne ich zum dritten Mal kochen. Ich habe ganz unten angefangen. Ganz am Anfang erledigte ich die sogenannten niederen Arbeiten wie Kartoffeln schälen. Aber in Wirklichkeit gehören sie in jeder Küche, die diesen Namen verdient, zu den wichtigen Aufgaben. Wissen sie warum? Wenn sie nicht stundenlang den typisch süßlichen Stärkegeruch in der Nase gehabt und nicht wieder und wieder das feuchte feste Fruchtfleisch gespürt haben, wissen sie nie wirklich was eine Kartoffel ist.... Ich bin kein Chauvinist, aber ich bin davon überzeugt, dass man kochen am besten lernt, wenn man in der Küche eines französischen Restaurants arbeitet.“

Die letzte Aussage sei einmal dahin gestellt, auf jeden Fall ist diese Ausbildung notwendig, wenn man sich das Ziel setzt, ein Standardwerk über die französische Küche vorzulegen. >

Interaktive Rezepte

Um es vorwegzunehmen: Alléno legt hier nicht nur einen Folianten sondern ein Buch vor, das in seiner Vielschichtigkeit, seinem Umfang und seiner Liebe zum Detail klar stellt, dass hier in der Tat neue Standards gesetzt werden. Zukünftig wird man sich nicht über moderne französische Küche unterhalten, ohne dieses Buch zu nennen. Auf diesen Seiten spürt man stets die umfassende Präzision und Liebe zum Detail, mit welcher das Buch gestaltet ist. Es fängt schon mit den interaktiv gestalteten Aufbauten der Teller an. Zu Beginn des Buches zeigen sich dem Betrachter fertig angerichtete Teller, dazu gibt es Erklärungen des Kochs zu den Komponenten und handschriftliche skizzierte Erläuterungen. Der Leser wird in einen Denkprozess mit einbezogen.

Die Rezepte zu den Tellern findet man dann weiter hinten im Buch und hier gibt es – wenn auch auf sehr hohem Niveau – die einzige Kritik am Band: Die einzelnen Zubereitungsschritte sind nicht sämtlich aufgeführt, so wird der unbedarfte Leser nicht wissen, wie er manche Komponenten fertig zubereitet, hier wird Wissen vorausgesetzt. Schöner wäre es gewesen, wenn man diese Schritte, die den Rahmen dieses ansonsten wirklich umfassenden Buches nicht weiter gesprengt hätten, noch eingefügt und etwas mehr Sorgfalt bei der Abstimmung der Zutaten und der Zubereitung der jeweiligen Gerichte hätte walten lassen.

Ansonsten wird hier alles gezeigt, alles besprochen, was man sich unter moderner französischer Küche vorstellen kann, nicht nur spezielle Kapitel, auch die Produkte selber werden immer wieder ins Bild gerückt. So kann man sich auch ein Bild von eher unbekannten Produkten wie dem Goldball oder der knolligen Kapuzinerkresse, von hierzulande teilweise unbekannten Apfelsorten oder manch exotischer Zitrusfrucht wie „Buddhas Hand“ machen.

Nicht verpassen sollte man die wahrhaft mitreißende Interpretation Allénos des Pot-Au-Feu von Dodin Bouffant: Darin vereinigen sich im wahrsten Sinne großartige Produkte, Poesie, Handwerkskunst und die Phantasie eines Meisterkochs zu einem kulinarischen Kunstwerk, das man schon bei der schlichten Lektüre genießen kann. Allerdings will man es dann auch bald selbst zubereiten.

Folgekosten der Lektüre

Und deshalb sei an dieser Stelle eine Warnung ausgesprochen: die Lektüre dieses Buch verursacht Folgekosten. Denn wenn Sie einmal angefangen haben zu blättern, kommen Sie irgendwann nicht umhin, nicht nur sehr gute Produkte als Zutaten für die hier versammelten Rezepte zu kaufen. Um die Rezepte  sinnvoll nach zu kochen, werden Sie nicht einfach Bresse-Geflügel kaufen sondern die Miéral-Veredelungen dieses wundervollen Produkte, um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen, das die kulinarischen Herzen höher schlagen und die Haushaltskasse schrumpfen lässt.

Dazu kommen die grandiosen Bilder, sei es von einem aufgeschnittenen auf den Punkt gereiften Camembert, einem Rinderkotelett mit einmaliger Marmorierung oder einfach den Doppelseiten, auf denen alle Teller des folgenden Kapitels versammelt sind. Hier bekommt man Ideen, wie man Käse nicht nur genießen, sondern auch zubereiten kann und weshalb man Innereien nicht länger verpönen sollte.

Doch bevor man in die Küche oder zum Einkaufen läuft, sollte man das Kapitel über Desserts studieren, so viel Masochismus muss sein, schließlich möchte man nach Beendigung der Lektüre endlich die Kartoffeln schälen um das sahnige Kartoffelpüree, oder die soufflierten Kartoffeln genießen zu können. Denn auch die einfachen kulinarischen Freuden geraten in diesem außergewöhnlichen Band, dem neuen Standard in Sachen moderner französischer Küche, beileibe nicht zu kurz.

Für Sie gelesen

Yannick Alléno: Französische Küche. 780 Seiten geb., Matthaes Verlag 2014, 129,-€
Bei amazon zu erwerben

Linktipp

Websites des Restaurants "Hôtel Le Meurice"

Mehr auf Tartuffel

Wir alle vermeiden es normaler Weise sorgsam, darüber zu reden, oder gar darüber nachzudenken. Doch wir alle wissen, dass mit unserem Ernährungssystem so einiges falsch läuft. Quälende Massentierhaltung, Monokulturen und der Verlust von…

Was passiert, wenn aus scheinbar alltäglichen Dingen besondere Momente entstehen? Sie bleiben – im Unterschied zu den gewohnten Eindrücken – lange in Erinnerung. Sicher, solche Momente sind so selten, dass man sie nicht planen kann, aber…

Moderne Küchen bestechen durch ihr Design und ihre glatten Oberflächen. Nichts soll den Blick des Betrachters ablenken. Werden Küchen dadurch unpersönlicher? Nur auf den ersten, oberflächlichen Blick. Denn in Wirklichkeit geben sie ihre…

Was ist „Einfachheit“ im Essen? Schon die Frage lässt stutzen. Denn es geht nicht um ein einfaches Essen, das im Handumdrehen zubereitet ist, sondern um Einfachheit als kulturelles und geschichtliches Phänomen, welches kulinarisch zum…

Geschmack haben wir alle. Sehen, riechen, tasten, fühlen, es sind alle Sinne, die den Geschmack beeinflussen. Geschmack ist mehr als subjektive Wahrnehmung. Und es ist verblüffend, dass wir ihn erst langsam in seiner Komplexität entdecken.…