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Cover des besprochenen Bandes (Ausschnitt | © Brandstätter Verlag

Stevan Paul: Auf die Hand

Essen auf die Hand ist mindestens so alt, wie die Kunst Brot zu backen. In allen Kontinenten erfreuen sich Menschen an kulinarischen Köstlichkeiten „Auf die Hand“. Stevan Paul hat Experten zum Thema getroffen und wunderbare Rezepte gesammelt.

Stevan Paul verpackt Fingerfood in ein leckeres Buch

 

Lange Zeit besetzte Streetfood das Label fett und billig. OK, denkt man an die Fish & Chips-Buden, die den Fisch zusammen mit den Chips in Zeitungspapier servierten, um dann das Ganze mit Essig zu übergießen, ergibt sich ein zu dieser Vorstellung stimmiges Bild. Aber wir reden hier von fast schon nostalgisch verzerrten Bildern, in denen die durch das Fett der Speisen abgelöste Druckerschwärze des Zeitungspapiers, in welches das heiße Essen auf der Insel traditionell gewickelt wurde, noch als Geschmacksträger erschien. Denn Fish & Chips in der historischen Variante, also aus einer Zeit, in der die Kartoffel noch nicht ihren Siegeszug durch die Friteusen der Welt gefeiert hatte, bestand aus frischem Fisch in knusprigem Teigmantel, der mit in schmale Scheiben geschnittenen, kross gebackenen Brot und eine würzig leckere Sauce bereichert wurde. Schön, dass das Buch von Stevan Paul „Auf die Hand“ auch diesen Klassiker in Bild und Rezept schmackhaft macht. Selbstverständlich wird die leckere Sache dann auch in einer Tüte serviert, mit historischem Augenzwinkern im Zeitungslook – aber ohne Druckerschwärze.

Das Neue Fast Food

Das Buch zeigt die kreative Vielfalt der Snacks auf die Hand. Hier versammeln sich nicht nur Klassiker wie Hot Dog oder Bratwürste, Toasts und Sandwiches, der Blick geht weiter. Hier werden Streetfood Köchinnen und  Köche der neuen Generation vorgestellt und von Daniela Haug wunderbar bildlich in Szene gesetzt. So weitet sich der Blick weg von der fetttriefenden Pommesbude, in welcher möglichst nichts hausgemacht wurde hin zu kreativen, frischen und vielseitigen Angeboten. Frische Salate, würzige Kräuter und saisonale Gemüse treffen hier auf liebevoll zubereitete Fleischgerichte. Das Neue Fast Food zeichnet sich dadurch aus, dass eben möglichst viel selbstgemacht ist, von den verwendeten Broten über Gemüse bis hin zu Ketchup und Mayonnaisen.

Konservendosen finden zwar noch Verwendung, jedoch lediglich als Tellerersatz, auch hier verweist man ironisch auf das überwundene Image vergangener Tage. Dabei ist Fast Food als Begriff so irreführend, dass man sich tatsächlich auf Streetfood einstellen sollte. Denn viele Zutaten, die man „Auf die Hand“ genießt, haben – wie das gewürzte, geräucherte und anschließend gedämpfte Rindfleisch, welches auf diese Weise zu wunderbar zart würziger Pastrami verwandelt wird – eine lange Zubereitungszeit durchlaufen, dafür ist ihr Genuss bleibender.

Streetfoodklassiker wie das fast schon wieder vergessene Bruschetta werden appetitanregend vorgestellt, doch auch ein Merguez-Sandwich wird zubereitet. Es gibt nicht nur das Rezept für eine passende Harissa-Paste, sondern ebenfalls eines für die wunderbaren, würzigen Würste aus dem Maghreb, die im Buch zusammen mit knackigem Frisée und Rotisseur-Mayonnaise – für die es selbstverständlich auch ein Rezept gibt – vorgestellt werden. Schon an diesem Beispiel erkennt man, mit welcher Liebe und mit welchem Blick fürs Detail an diesem Buch gearbeitet wurde. Das gilt nicht nur für die zahlreichen, überaus grandiosen und leicht nach zu kochende Rezepte, sondern ebenso für die Portraits der zahlreichen Streetfooder. Einer von ihnen ist Orhan Tançgil, der nach einer Tiefkühl-Pizzaphase zu Beginn seines Studiums merkt, dass er sein Heimweh am besten durch Mamas Küchenrezepte bekämpfen kann. Also ruft er seine Mutter an, um ein Rezept für Börek zu erfragen. Bald schon bringt er erste Köstlichkeiten zu Studentenpartys mit, wird gefeiert und nach Rezepten und Tricks gefragt. „KochDichTürkisch“ ist geboren, mittlerweile ein Kleinunternehmen mit Onlineplattform, Ladengeschäft und eigenem Verlag.

Anregende Erzählebenen

Darüber hinaus ist das Buch von Miriam Strobach, die schon zu „Deutschland vegetarisch“ mit Stevan Paul zusammenarbeitete, grandios grafisch gestaltet. Nicht nur die Rezepte sind übersichtlich dargestellt. Egal ob Kochanweisung, Portrait, Reportage, alles wirkt wie aus einem Guss. Schon beim einfachen Durchblättern ist das Buch ein Genuss. Dazu kommt, dass Stevan Paul nicht nur die heutigen Streetfood Rezepte vorstellt, sondern auch die Historie in den Blick nimmt.

Wir erfahren vom Erfinder des Sandwiches, vom legendären Fernsehkoch Clemens Wilmenrod, der neben dem kosakischen Reiterfleisch vor allen Dingen durch die Erfindung des Toast Hawaii im Wirtschaftswunderdeutschland für einfache kulinarische, exotische Noten sorgte und damit ein Millionenpublikum an den Fernsehgeräten begeisterte. Doch auch der Geschichte der Currywurst wird in dem Buch nachgegangen. Sicher ist, dass der Geschmack exotischer Noten genau das war, wonach sich die Deutschen nach dem Kriege sehnten. Die Kombination von exotischer Schärfe und altbekannter Bratwurst, oder je nach Region Brühwurst, scheint zeitgleich an mehreren Orten entstanden zu sein. Was die These nach dem nach Exotik hungernden Zeitgeist unterstreicht. Insofern können sicherlich mehrere Städte für sich reklamieren, die Currywurst erfunden zu haben, allerdings haben sie diesen Anspruch nicht exklusiv. Ein Umstand, der dem deutschen Streetfoodklassiker weniger geschadet als genutzt haben dürfte.

Doch all die Vielfalt, die in diesem Buch dargestellt wird, wäre sicherlich nur halb so überzeugend, wenn sie nicht auch mit einem gut riechenden und schmackhaften Brot gereicht würde. Jeder, der im Ruhrgebiet mal in einer „klassischen“ Pommesbude zu seiner dunkel gebratenen Wurst, ertränkt in würziger Sauce, lieblose Scheiben ungetoasteten Toastbrot gereicht bekam, weiß, wovon die Rede ist. Wenn das Brot nicht taugt, oder das Brötchen altbacken ist, betrachtet man sein Essen auf der Hand mit liebevoller Verachtung: schmeckt nicht, hilft aber über den nächsten Kater hinweg.

Nicht so im vorliegenden Buch. Hier werden nicht nur die Toasts und Sandwiches einer besonderen Würdigung unterzogen, sondern auch das German Abendbrot, um es in unserer schnelllebigen Zeit vor dem Aussterben zu bewahren. Dazu wird mit Alfredo Sironi ein italienischer Bäckermeister portraitiert, dessen duftende Backwaren in der Berliner Markthalle Neun zu goutieren sind. Damit man aber Zwecks Broterwerb nicht eigens nach Berlin pilgern muss, versammelt der Band auch zahlreiche Rezepte von Stevan Paul rund ums Brot. So kann man sich nicht nur an Burger-Buns wagen, sondern auch gleich mal ein Ciabatta oder Bagels zubereiten. „Wir haben keine Geheimnisse“ erklärt Sironi zu seinen Rezepten, „nur Wasser, Mehl, Hefe, Salz und Leidenschaft!“ Diese simplen Grundelemente, die gleichzeitig das gesamte Buch kennzeichnen, ergeben die duftende Grundlage für wunderbare Vielseitigkeit „Auf die Hand“.

Für Sie gelesen

Stevan Paul, Daniela Haug: Auf die Hand. Auf die Hand - Sandwiches, Burger & Toasts, Fingerfood & Abendbrote. Wien 2014, 272 Seiten geb., 34,90€

Bei amazon zu erwerben

Linktipp

Website KochDichTürkisch

Hier wird die Geschichte der wachsenden Streetfoodmärkte über das Buch hinaus auch auf Facebook weiter erzählt.

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Phänomene: Gekochte Grundlagenforschung
Charaktere: Tartuffelfragebogen Stevan Paul
Bücher: Deutschland vegetarisch
Zutat: Sandwich

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