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Der Bauch ist ein gastrosophischer Körper | Quelle: Wikipedia

Von user:Rainer Zenz - Eigener Scan, Gemeinfrei, commons.wikimedia.org/w/index.php

Bauch

Klassisches Aushängeschild sinnlicher Genüsse

Verkörperung des Essens

Gastrosophisch betrachtet darf der Geist nie alleine stehen, er braucht seinen Körper. Erst im Zusammenspiel von Sinnen und Bauch erlebt er überhaupt einen Genussakkord.

Denn es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. Deshalb ist es unerlässlich, den Bauch – oder halt den Magen – in einer gastrosophischen Zutatenliste prominent zu besetzen.

Betrachten wir unser Sujet einmal haptisch: Früher erkannte man die Liebe des Kochs zu seiner Profession unübersehbar deutlich, denn er trug diese unablässig und stolz vor sich her. Einen Koch, der etwas auf sich und seine Arbeit hielt, zierte sein voluminöser Bauch. Er war eine Art leibliches Gütesiegel. Selbst zu Hochzeiten der Nouvelle Cuisine – der man damals nachsagte, sie würde das Nichts auf dem Teller erscheinen lassen, da diese so dürftig belegt seien, dass man überall nur Leere erkenne –  wurde im Vergleich zu heute regelrecht üppig gekocht.

Paul Bocuse, der Meister dieser Schule, die heute schon der Klassik zugerechnet wird, zeigt auch heute noch, dass sein Bauch am rechten Fleck steht. Der 1961 als „Bester Arbeiter Frankreichs“ ausgezeichnete Maître, besteht als Koch darauf, dass seine Gäste zu ihm zum Essen kommen und eben nicht um eine Diät zu halten. Ein beruhigendes Statement in einer Zeit, in welcher der sinnliche Genuss in vielen Restaurants anscheinend der Geste von Wellness auf den Tellern weicht. Das Selbstverständnis von Paul Bocuse geht wohl auf seine Lehrjahre zurück.

Der heute mutmaßlich berühmteste Koch Frankreichs lernte nämlich bei keinem Geringeren als Fernand Point, der es bei 1,92 Körpergröße immerhin auf stattliche 165 kg Lebendgewicht brachte. Nicht nur deshalb wurde er ehrfürchtig „Magnum“ genannt: Er trank bevorzugt Champagner zu jeder Tageszeit, dafür aber in nicht zu geringen Dosen. Von Fernand Point stammt einer der kulinarischen Aussprüche, der die französische Küche weltberühmt machte: „Butter! Gebt mir Butter! Immer nur Butter!“ Damit appelliert Point an das Unbewusste, Vorsorge für harte Zeiten zu treffen und einen körpereigenen Fettvorrat anzulegen. Er spricht den Bauch im doppelten Sinne an.

Ein ähnliches Bauchvolumen verleitete seinerzeit A.J. Liebling, den wohl ersten ernsthaften Gastronomiekritiker des „New Yorker Magazins“ zu der Feststellung, dass ein gesunder Appetit Platz brauche. Wie könne man denn verstehen, was man isst, wenn man das Essen nicht auch in einer entsprechenden Menge würdigt? Liebling war – um es kurz zu machen – ein so leidenschaftlicher Esser wie begnadeter Essayist. Im Besuch eines Restaurants sah er eine Feldforschung, die ein ernsthafter Kritiker zwei Mal am Tag unternehmen sollte. Wer Lieblings Hommage an die Restaurants in Paris liest, der merkt schnell, dass dieser Mann ein schlichtes Mittagsmenü mit einer Flasche Wein und einem halben Dutzend Wachteln erst zu beginnen pflegte.

Heute scheint es so, als gehörten die Köche mit ausschweifender Sinnlichkeit zu einer aussterbenden Spezies. Klaus Erfort, Joachim Wissler, Sven Elverfeld, allesamt passionierte 3 Sterne Köche, folgen körperlich dem Begründer der „Neuen deutschen Küche“ Dieter Müller, der auch heute, jenseits der 60 großen Wert auf eine sportlich schlanke Figur legt. Nun wird das Fehlen des Bauches zur Geste.

Der Bauch des Koches, er ist vom Verschwinden bedroht. Vincent Klink und Lea Linster bilden augenscheinlich die sinnlichen Gegenpole einer modernen, schlanken Kochelite. Selbstverständlich sind wir froh, dass sich die Küche in ihren Rezepturen insgesamt verschlankt und wir nicht mehr – wie noch zu Zeiten eines Honoré de Balzac – Austern „en gros“ essen müssen. Aber ein wenig mehr Wertschätzung des Bauches, als Kern der leiblichen Zufriedenheit sowie des Genusses als Transmissionsriemen des Verstandes dürfen wir uns auch in Zeiten der flachen Bäuche wünschen. Denn – hier sei noch einmal auf Fernand Point verwiesen – es ist die Ausschweifung, die uns anregt, uns mit dem Genuss des Außeralltäglichen zu denken gibt und uns zum Nachdenken verführt.

 

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