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Geister

Welcher Geist wäre nicht flüchtiger und damit begehrter als der des Alkohols? Wenn man von Geistern spricht, ist auch immer der Rausch, der diese Geister heraufbeschwor, im Gesagten mitzudenken. Geister bilden oft das Unbewusste der Sprache ab, sie reden mit, wenn wir sprechen.

Nüchtern betrachtet sind Geister allgegenwärtig

Einmal nüchtern betrachtet: Was wäre die Interpretation – was, um es von der anderen Seite des Tableaus zu sagen – die Juristerei wert, wenn die Sprache ganz rein, ohne Bildlichkeit und Doppelsinn funktionierte?

Sie wäre ordentlich, exakt, bürokratisch und instrumentell – sicherlich. Sie erschiene aber auch langweilig, oder, um es auf den Begriff zu bringen, geistlos.

Denkt man über den Geist nach, erkennt man unweigerlich diese Ambivalenz, die dem Wort eingeschrieben ist. Schon Macbeth wusste darüber zu berichten, wie sehr er unter den Geistern litt, die er doch so sehnlich herbeigerufen hatte. Im Geist steckt der rettende Heilige, aber auch die wahnsinnige Geisterstunde.

Dem Geist wohnt zudem etwas Flüchtiges, nicht Greifbares inne. Er wird oft auch als dem Menschen eher äußerlich dargestellt. Vorsicht, die Übergange von geistvoll über vergeistigt bis entgeistert sind fließend. Ebenfalls von außen kommen die geistigen Getränke. Sie bringen in uns etwas zum Sprechen, was sonst unausgesprochen bleiben würde. Ein gewichtiger Grund, weshalb Schriftsteller gerne einmal zum Glas greifen, um dem eigenen Text eigentlich fremden Geist zu verleihen.

Ghost/writer

Schon dieses Begriffspaar, das den Schriftsteller und den Geist verbindet, ist eine kleine Bemerkung wert. Denn erst das Schreiben ruft den Geist des Textes auf den Plan, der dann im Lesen wieder aus dem Buch heraustritt. Der Ghostwriter ist also nicht nur eine Person, die hinter dem Text und dem zumeist prominenten Autor geisterhaft verschwindet, er ist auch der Schreiber des Geistes, derjenige,der Geist stiftet.

In seinem Roman „Ghost“ (der im Original „Ghostwriter“ heißt) entwirft Robert Harris genau diese Figur. Er zeichnet den fiktiven britischen Premier seines Romans – unverkennbar eine Anspielung auf Tony Blair – als Geist und schafft damit auf wundersame Weise eine Umkehrung der Verhältnisse. Denn in der Tat kann man sich nur noch ganz vage an diesen Mann erinnern. Erst durch den Roman gelangen politische Entscheidungen, die dessen New Labour Regierung durchgesetzt hat, wieder ins Bewusstsein. Inhaltlich, so suggeriert es die Erinnerung, mehr aber noch der Text des Romans, war diese Regierung gespenstisch. Erkennbar lediglich in dem Willen, ein enger Verbündeter der Vereinigten Staaten sein zu wollen und gleichzeitig die sozialen Standards im eigenen Land auf ein Minimum zu beschränken.

Der Film zu diesem Roman bekam den treffenderen Titel „Ghostwriter“. Regisseur Roman Polanski legte Wert auf eine genaue Adaption des Stoffes und schrieb das Drehbuch mit Robert Harris zusammen. Im Film spielt Ewan McGregor den talentierte Ghostwriter, der die Biografie des ehemaligen britischen Premiers schreiben soll.

Geistergeschichte

Beide Autoren verstehen sich außergewöhnlich gut auf Geister und ihre Geschichten. Polanski hat mit „Tanz der Vampire“ sicherlich einen der bekanntesten und zugleich komischsten Filme über flatternde Untote aus Transsylvanien gedreht. Mit der Shakespeare Verfilmung des „Macbeth“ hat er wie kein Regisseur nach ihm, die Geister dieses Stoffes heraufbeschworen. Körperlich zerrissen von der Ambivalenz des Geistes sehen wir die letzten Lebensmomente von Macbeth, indem die Kamera uns die Bilder seiner Augen zeigt, während der Kopf schon vom Rumpf getrennt ist – gespenstischer geht es kaum noch. Doch: Polanksi, der nur knapp den Holocaust überlebt hat, zeigt in „Der Pianist“ unglaublich eindrücklich, wie sehr das mörderische Treiben des Nationalsozialismus noch immer den Geist der europäischen Geschichte beherrscht. An diesem Punkt treffen sich auch die Autoren. Robert Harris begann nämlich seine Karriere als Autor mit einem ähnlichen Geist. In seinem Roman „Vaterland“ geht er der Frage nach, wie Europa aussehen würde, wenn Hitler und nicht die Alliierten den 2. Weltkrieg gewonnen hätte.

Nun also treffen sich diese beiden kongenialen Geister und entwickeln einen Film, der ganz viele Anleihen beim Master of suspence – Alfred Hitchcock – nimmt. Aber diese Anleihen dienen lediglich der Verunsicherung des Zuschauers und erzeugen, wie die Beleuchtung und die grau-winterliche Stimmung ein gespenstisches Gefühl. Man weiß nie, welche Person die Wahrheit sagt, wen man ernst nehmen kann, und ob es überhaupt einen verlässlichen Anhaltspunkt gibt. Kurz: unser alltägliches Koordinatensystem verliert seinen Referenzrahmen.

Der Geist aus der Flasche

Halt gewährt hier lediglich der Geist aus der Flasche und der Ghost, also der von Ewan McGregor gespielte Schreiber, sucht gerne die Gewähr dieses Geistes. Schließlich bietet ihm der Alkohol die einzige Absicherung und Gewissheit innerhalb eines gespenstischen Szenarios. Sein Vorgänger ist ums Leben gekommen. Unklar bleibt, ob er ermordet wurde. Gespenstisch auch sein Auftraggeber: Er scheint ausschließlich auf seinen Ruhm und seinen guten Ruf bedacht, obwohl zunehmen klar wird, dass er in Wirklichkeit eine Marionette seiner Frau ist.

Langsam dämmert es dem Ghostwriter, dass hinter dem Material, welches er bearbeiten soll, mehr steckt, als sein Auftraggeber preis geben möchte. Immer entschlossener macht er sich an die Arbeit, den Geist seiner Arbeit aufzuspüren und immer mehr realisiert er, dass er genau dadurch in Lebensgefahr gerät. In dieser tatsächlich surrealen Szenerie also öffnet der Ghostwriter eine Flasche Whisky mit den Worten: „Ich kann nicht verstehen, wie man Bier und Wein trinken kann. Für mich ist das reine Zeitverschwendung.“

Und genau hier, in diesem einen Satz scheinen die Geister des Gesagten mit den Geistern des Bezeichnetem in eins zu kommen: Wenn man das Trinken nicht als Genuss, sondern als Betäubung versteht, dann ruft man die Geister die man loszuwerden trachtet nur um so lauter.

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