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Immanuel Kant

Königsberger Senfanrührer und Médocliebhaber

Über die ungeschriebene Kritik der kulinarischen Vernunft

„Sapere aude!“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Dieser Imperativ ist wohl das lauteste Diktum der Aufklärung und er ist in der heutigen, medial geprägten Zeit relevanter denn je. Sein Urheber, Immanuel Kant (1724 - 1804), ist die zentrale Figur der Aufklärung deutscher Zunge.

Für ein gastrosophisches Magazin wie „Tartuffel“, das sich den Leitspruch "Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war" auf die Fahnen geschrieben hat, führt kein Weg an diesem Mann aus Königsberg vorbei.

Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Diese Fragestellungen Kants prägen die Philosophie bis in die Gegenwart. Weniger bekannt ist, dass Kant bis zu seinem Tode an dem Problem der Notwendigkeit sinnlicher Erfahrung arbeitete.

„Vom leeren Raum kann es keine Erfahrung, auch keinen Schluss auf das Object derselben geben. Von der Existenz einer Materie belehrt zu seyn dazu bedarf ich Einfluss einer Materie auf meine Sinne.“

Denn - dies ist durch das von Universitätsprofessoren gerne verbreitete Bild des knöchernen Senfanrührers aus Königsberg in Vergessenheit geraten - Kant war den sinnlichen Genüssen gegenüber nicht nur aufgeschlossen, sondern auch ein geistreicher Unterhalter mit vielfältigen gesellschaftlichen Verpflichtungen, also in etwa das, was man heute als intellektuellen Partylöwe bezeichnet.

Jenseits der 40 angekommen, reguliert Kant seinen Tagesablauf strikt. Fortan lässt er sich von seinem Diener Martin Lampe stets gegen 4.45 Uhr wecken, macht zur festgelegten Zeit einen Spaziergang, studiert, schreibt, hält seine Vorlesungen und geht pünktlich gegen 22.00 Uhr zu Bett. Unterbrochen wird dieser Tagesablauf durch ein regelmäßiges üppiges Mittagessen, zu dem er mit viel Sorgfalt seine Gäste auszusuchen pflegte. Ein ausgedehntes Mahl, gute Weine und eine hervorragende Konversation waren für ihn der Gipfel des Genusses – eigentlich sehr französisch. Dabei sollten seine Tischnachbarn auch witzig und geistreich sein. Von daher lud er nur selten die Professores der Fakultät an seinen Tisch, da er die Mehrzahl seiner Kollegen als zu fad und blutleer wahrnahm.

Kritik der kulinarischen Vernunft

"Professores sind stehende Wasser, die faul werden", ließ er über seine Kollegen wissen. Lieber versammelte Kant unterschiedliche Meinungen um seinen Mittagstisch, auf dass hier mit großen Appetit Nahrung für Geist und Körper aufzunehmen sei. So füllten diese Treffen oft mehr als drei Stunden, in denen mindestens drei üppige Gänge aufgetragen wurden. Es versteht sich von selbst, dass Kant, der nur eine Mahlzeit – das Mittagessen – zu sich nahm, großen Wert darauf legte, dass  gutes Essen und belebende Konversation Hand in Hand gingen.

Für die Anzahl der Gäste gab es feste Regeln im Hause Kant: Die Anzahl der Speisenden sollte nicht größer als die Zahl der Musen und nicht kleiner als die der Grazien sein. Anders ausgedrückt, der Mann, der eine "Kritik der kulinarischen Vernunft" plante, führte nie mehr als sechs Gedecke in seinem Haushalt.

Da Kant schon früh beschlossen hatte, ein möglichst langes Leben zu führen, beschäftigte er sich – hierin bei aller Kritik der reinen Vernunft ganz und gar praktischer Philosoph – mit Fragen der richtigen Ernährung und schrieb einen eigenen Kommentar zu dem seinerzeit sehr bekannten Buch "Makrobiotik oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" von Christoph Wilhelm Hufeland, der auch Goethe, Schiller, Herder und Wieland zu seinen Lektüre-Jüngern zählte.

Kants absolute Leibspeise war Kabeljau, der nach der obligatorischen Suppe gereicht wurde. Ansonsten nahm er gerne deftige, mit frischen Kräutern gewürzte Speisen zu sich. Pürierte Erbsen mit Schweinefüßen, oder ein Schweinebraten mit vom Hausherrn selbst angerührtem englischen Senf. Nach dem Hauptgang nahm er gerne Brot, Butter und Käse zu sich. Als Dessert gab es frisches Obst, Kuchen oder Pudding. Getränke galten ihm am Tisch nur Wasser und Rotwein, mit Vorliebe aus dem Médoc. Nach dem Mahl aber war der Kaffee so selbstverständlich wie die nächste Einladung für wortgewandte Gäste.

Genau an diesem Punkt hätte die von Jürgen Habermas konzipierte „Theorie des kommunikativen Handelns“ ansetzen können, berührt hier doch der redende Esser das sonst unerreichbare „Ding an sich“. So aber steht die von Kant geplante, jedoch nicht mehr realisierte „Kritik der kulinarischen Vernunft“ noch aus. Sie könnte den philosophischen Beweis leisten, dass nichts im Verstand ist, was nicht zuvor in den Sinnen war. Ganz im Sinne Kants, versteht sich.

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