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Menuekarten

Über Essen wird in diesem Zusammenhang eine Menge geschrieben. Bücher und Magazine sind voll von Rezepten, Tipps und Kritiken. Aber der erste Kontakt mit den Speisen findet nicht direkt, sondern über die Speisekarte vermittelt statt. Mittlerweile haben die Verkünder des kulinarischen Genusses längst Kultstatus erlangt.

Menü Design in Amerika

Stellen wir uns vor: Georges Laffont Menu, einzig überlebender Sohn einer französischen Bauernfamilie, eignet sich als normaler Küchengehilfe innerhalb eines Jahrzehnts alle Küchengeheimnisse der damaligen Zeit an. Durch einen Zufall erhält er die Gelegenheit, am Hofe Ludwigs XIV. zu kochen und erregt durch eine raffinierte Speiseabfolge, die er zuvor auf einer Karte bekannt gibt, das Ansehen des höfischen Adels. Wir erleben die Geburtsstunde des Menüs am Hofe des Sonnenkönigs.

Allein die Geschichte ist nicht wahr. Es gibt keine Person, nach der das „Menü“ benannt ist, denn das Wort leitet sich vom Lateinischen „minutus“, etwas Verkleinertes, ab und bezeichnet im Französischen die Liste der Speisen, die ein Lokal seinen Gästen anbietet. Dabei wird diese Bezeichnung erst zu einer Zeit populär, als der Absolutismus in Frankreich durch die Revolution selbst schon Geschichte geworden ist. Die ehemaligen Köche der Adelshöfe eröffnen in dieser Zeit in Paris die ersten Restaurants. Nun erst wird die obligatorische Schüssel, aus der sich alle am Tisch sitzenden Gäste zu bedienen hatten, durch eine Auswahl an Speisen abgelöst. Menükarten werden als Einladung für die Unentschlossenen eingeführt. Sie entwickelten sich innerhalb weniger Jahrzehnte zur grafischen Umsetzung des servierten Essens und werden ihrerseits zu einem Objekt der Begierde.

Graphische Höhepunkte der Speisekarte in den USA

Auch wenn die Speisekarte – wie viele Dinge mit kulinarischem Zusammenhang – eine französische Erfindung darstellt, so wird ihre grafische Ausprägung in den USA ab dem späten 19. Jahrhundert von besonderer Bedeutung sein. Denn in Amerika geht man nicht nur aus um zu essen, man beginnt „Beweise des Verzehrs“ zu sammeln. Sei es anlässlich einer Reise, als geladener Gast zu besonderen gesellschaftlichen Ereignissen oder als Beweis, dass man tatsächlich in dem berühmten Restaurant gegessen habe, von dem andere am Tisch nur zu schwärmen wissen.

Dabei entwickeln sich in den USA die Speisekarten in ihren grafischen Ausgestaltungen von 1850 an in immer frivoleren Zügen zu wahren Hinguckern. Nicht nur die Weinkarte erfährt grafisch eine erotische Aufladung, ganze Restaurants lassen die Einbände ihrer Menüs wie sinnliche Versprechen dekorieren. Doch auch andere Anlässe, wie der Pionierflug Charles Lindberghs über den Atlantik 1927 werden ausgiebig gefeiert. Der Triumphzug Lindberghs durch die USA dauert ganze drei Monate und wird mit über 40 Banketten – jeweils mit einer anders gestalteten Menükarte – gefeiert. Mittlerweile hat sich die Speisekarte in den USA zu einem Werbemittel entwickelt. So dient die Speisekarte nicht mehr ausschließlich dazu, den Appetit der Gäste anzuregen oder in bestimmte Bahnen zu lenken, sie hat sich selbst zu einer Kunstform jenseits des Kulinarischen entwickelt, die ihren Weg aus den Restaurants und Festsälen zu den Sammlern und in die führenden Museen der Welt angetreten hat. Diese Entwicklung zeichnet das Buch Menu Design America eindrucksvoll nach ohne – dem Thema mehr als angemessen – allzu viele Worte zu verlieren.

Hofbräuhaus und Bismarck Café

Nach Ende des Sezessionskriegs (1861 – 1865) strömen viele deutsche Einwanderer in die USA und eröffnen Restaurants, in denen sie deutsche Delikatessen anbieten. Viele deutsche Gaststätten benennen sich nach dem in München ansässigen Hofbräuhaus, um so zu verstehen zu geben, dass sie im Unterschied zu anderen Restaurants ein geschmacklich hochklassiges Bier anbieten. Spannend sind die Menüs der deutschen Restaurants aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, denn zu dieser Zeit gelten deutsche Gerichte als Spezialität und die Restaurantbetreiber scheinen schnell eine geschmeidige Symbiose zwischen den Rezepten aus der Heimat, den Produkten des Landes und zwischen den Sprachen gefunden zu haben. So werden auf der Menükarte des Hofbräuhaus New York im Jahr 1910 „Nürnberger Würstchen“, „Leipziger Allerlei“, „Apfelkuchen“, „Brat Ente mit gedaempften Rothkohl“, „Wiener Schnitzel“ und „Braunschweiger Leberwurst“ ebenso angeboten wie „Baked Sea Trout Creole“, „Sirloin Steak with Onions“, „Tenderloin Steak with Mushrooms“ oder die „Hofbrauplatte“.

Das „Bismarck Café“ in San Francisco verzeichnet auf seiner Menükarte des Jahres 1912 „Gedämpfte Rinderbrust en casserole“ ebenso wie den „Kalbsnierenbraten mit Kartoffel-Salad und Compote“ und „Imported Bratwurst, Sauerkraut und Mashed Potatoes“. Selbst „Deutscher Sauerbraten with Potatoe Pancake“ findet sich hier gleichberechtigt neben dem klassisch französisch inspirierten „Calf´s Head à la Vinaigrette“.

Patriotismus und erotische Unterwanderung der Prohibition

Mehr noch als die angebotenen Speisen überraschen die Menüdesigns durch ihre Aufmachungen. Vor dem ersten Weltkrieg präsentieren durchweg Frauengestalten, sei es in mystischer Andeutung, sei es offen erotisch, auf den Einbänden der Speisekarten, um den Gast für sich einzunehmen. Diese sinnlichen Versprechen finden in den Kriegsjahren ein abruptes Ende: Nun werben die Menükarten für einen sparsamen Umgang mit Fleisch und Fett, um diese Zutaten den Soldaten im Felde zukommen zu lassen. Direkt nach dem Krieg wandeln sich die Menüs. Nun, in Zeiten der Prohibition, sind sie der flüsternde Übersetzer für den Gast, der durch Decknamen wie „J.B. Corn“ zu erkennen gibt, ob in den blickdichten Tassen des jeweiligen Etablissements auch tatsächlich Whisky anzutreffen sein wird. Eine eigene ambivalente und witzige Designsprache entsteht in diesen 14 Jahren, in denen sich der Alkohol in den USA seinen illegalen verschlungenen Weg in die Kehlen der dürstenden Kundschaft bahnen muss.

Der berühmte Cotton-Club in New York verdankt seinen Namen und seine Berühmtheit gerade der Prohibition. Denn der Alkoholschmuggler Owney Madden übernahm den „Club de Luxe“ änderte den Namen in Cotten Club und engagierte Duke Ellington und Cab Calloway sowie eine Schar von leicht bekleideten Damen, um seinem Publikum neben dem Alkohol auch entsprechende Nachtclubkultur bieten zu können. Eine andere New Yorker Institution für die Theater- und Musikszene war das „Café des Artists“, welches durch weibliche Schönheiten auf den Menüs zu werben verstand. Eine Idee, die das Bestehen des Cafés von 1917 bis 2009 sicherte.

Aber nicht nur bestehende Clubs und Restaurants haben ihre wechselnden Menüs. Das Deutsche Musterluftschiff, die „Hindenburg“ feiert jede ihrer insgesamt 17 Atlantiküberquerungen mit einem Bankett im New Yorker Waldorf Astoria Hotel mit stets wechselnden Menüs. Ein Jahr vor der Absturzkatastrophe der Hindenburg zeigte man sich als Repräsentant des neuen Deutschlands in Bombenstimmung und serviert seinen Gästen dazu neben dem „Green Spring Salad a la Hindenburg“ auch eine „Zeppelin Eisbombe“ vor dem schwarzen „Moka“.

Die hier skizzierten Beispiele stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt der im Buch liebevoll zusammengetragenen Karten und Menüs dar. Hier kann man die Präsentation des Essens auf eine ganz andere Art genießen und bei der Lektüre feststellen, dass Essen stets etwas mit der Lokalität, dem Land, der jeweiligen Zeit und nicht zuletzt mit seiner Präsentation auf der Karte zu tun hat.

Insofern wäre es wünschenswert, wenn die Restaurantbetreiber wieder mehr Wert auf die graphische Gestaltung der Menüs legen würden, denn sie sind ein Ausdruck des kulinarischen und kulturellen Selbstverständnisses, welches man im Menü bewahren sollte, denn es verändert sich fortwährend.

Der Band besticht nicht nur durch seinen Umfang sondern auch durch das sorgfältig ausgewählte Papier, welches die Menüs beinahe spürbar macht. Ein Band für ein breites Publikum, das noch gar nicht weiß, wie spannend und aufschlussreich die Beschäftigung mit dem Menü Design sein kann. Hier kann man eine Menge aus der amerikanischen Karten-Geschichte lernen.


Für sie gelesen
Menu Design in America, 1850–1985
Jim Heimann, Steven Heller, John Mariani
Hardcover, Taschen Verlag Köln 2011, 392 Seiten, geb., € 39,90

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