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Schon in der Antike wurde dem Essen gehuldigt - Römische Mosaiken | © Vera Bischitzky

Nikolai Gogol (2)

Im ersten Teil der Geschichte konnten wir staunend Gogols Ende betrachten. Der Mann, der Gelage ohne gleichen beschreiben konnte, verstarb, da er sich der Nahrungsaufnahme verweigerte. Doch zuvor lernte er in Italien die Speisen zu preisen und  die Makkaroni zu schätzen. Jetzt im zweiten Teil des wunderbaren Beitrags von Vera Bischitzky.

Als Gogol lernte, die Speisen zu preisen

Thomas Mann meinte, man müsse sich bei Petuchs Gefräßigkeit immer vor Augen halten, dass Gogol selbst zur Völlerei neigte, „dabei aber der hypochondrischen Überzeugung lebte, dass sein Magen ‚widernatürlich eingerichtet' sei und ‚vollkommen verkehrt stehe'.“ Dies hätten ihm die berühmtesten Ärzte in Paris bescheinigt, wie man einem Brief entnehmen kann, was ihn aber nicht davon abhielt, in Rom fast jeden Vormittag ins Cafe Del Buon Gusto zu gehen, wo er Kaffee mit fetter Sahne trank.

Nikolai Gogols Briefe aus dem Ausland, aus Italien etwa, wo er mit kleineren Unterbrechungen mehr als zehn Jahre lebte, oder den diversen Kurorten, aus Baden-Baden, Bad Ems oder Gastein, wimmeln nur so von Klagen über Krankheiten aller Art. Vor jedermann breitete er seine Malaisen aus: Worte wie Verstopfung, Magenbeschwerden oder Nervenzerrüttung waren aus seinen Briefen und Gesprächen nicht wegzudenken. „Wir hörten ständig, wie er seine Beschwerden beschrieb; wir lebten förmlich in seinem Magen“, erinnerte sich Fürstin Warwara Repnina, eine seiner ergebensten Bewunderinnen. Monatelang war er mit nichts anderem beschäftigt, als mit seinem Magen und mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit, „gleichzeitig aber konnte niemand von uns so viele Makkaroni essen wie er auf einmal verspeiste.“

Hymnische Lobpreisungen von „Makkaroni, so lang wie der Weg von Rom nach Neapel“, von Hammelkeule oder italienischem Eis finden sich in Gogols Briefen auf Schritt und Tritt: „Ich esse nur noch das Eis für 4, manchmal auch das für 8 Sous. Aber was das für ein Eis ist, davon machst du dir keine Vorstellung. Nicht der Mist, den wir bei Tortoni gegessen haben und das dir so geschmeckt hat. Die reinste Butter!“, an den Freund A. Danilewski aus Rom. Überhaupt, Italien! „Was für eine Luft! Wenn du einatmest, dann meinst du, dass dir mindestens 700 Engel in die Nasenlöcher fliegen“, heißt es 1838 aus Rom. „Und eine crostata mit Sauerkirschen gibt es hier, von der einem noch drei Tage später das Wasser im Munde zusammenläuft.“

Von italienischen Kuchen und Brötchen aller Art war er ganz besonders hingerissen. Wo er all die Brezeln, Semmeln und Kekse hernahm, das wusste niemand zu sagen. Jeden Tag bewirtete er seine staunenden Bekannten in seinem Zimmer in der Via Felice mit anderem Backwerk. „Ich glaube, nicht einmal der Papst hatte ein so üppiges und schmackhaftes Frühstück wie wir“, berichtete der Freund Michail Pogodin aus ihrer gemeinsamen Zeit in Rom. Ein riesengroßer kupferner Teekessel mit kochendem Wasser wurde hereingebracht, der Tee gebrüht „und dann begann das Eingießen, Umgießen, Kosten, Servieren und das genüssliche Lippenlecken. Unter weniger als einer Stunde ging das Teetrinken nicht ab. ‚Es reicht, es reicht, wir müssen gehen!’ ‚Wartet, wartet, gleich. Noch eine Tasse, und hier, diese Hörnchen, probiert mal, wie gut die schmecken!“

Eines Tages machten sich Gogols Freunde den Spaß, den magenkranken Signore Niccolo, wie er in Rom genannt wurde, heimlich beim Essen zuzusehen. Sie schlichen in seinem Stammlokal Al Falcone unbemerkt in einen Nebenraum und beobachteten von dort aus, wie sich Gogol an den Tisch setzte und bestellte: Makkaroni, Käse, Öl, Essig, Zucker, Senf, Ravioli, Brokkoli, Butter … Die Kellner wuselten hin und her, Gogol nahm die Speisen freudig und mit leuchtendem Gesicht entgegen und begann zu hantieren. Bald türmte sich allerlei Grünzeug vor ihm auf, kleine Karaffen mit diversen Flüssigkeiten kamen auf den Tisch. Dann wurde eine Schüssel voller Makkaroni gebracht, Gogol lüpfte den Deckel – Dampfwolken entströmen ihr. Nun tat er Butter hinein, streute mit Kennerblick Käse darüber, nahm eine Pose ein wie ein Priester, der sich anschickt, ein Opfer darzubringen. In diesem Augenblick ging unter Getöse die Tür auf: „Dir fehlt also der Appetit, mein Lieber, und dein Magen ist nicht in Ordnung?“ riefen die Freunde unter lautem Gelächter. „Für wen hast du das denn alles zubereitet?“ Einen Moment war Gogol verdutzt, gewann aber sofort die Fassung zurück und antwortete bekümmert: „Was schreit Ihr so, natürlich habe ich keinen richtigen Appetit. Ich versuche mir künstlich Appetit zu machen!“ Darauf lud er die ganze Gesellschaft ein, mit ihm zu tafeln, und gab sogleich voller Begeisterung weitere Bestellungen auf. Gogol aß für vier und beteuerte dauernd, alles sei ganz anders als sie dächten und habe gar nichts zu bedeuten.

Gogol - Leidenschaftlicher Koch

Wenn Nikolai Gogol sein italienisches Paradies für kurze Zeit verließ und nolens volens nach Russland zurückehrte, um Verlags- und persönliche Angelegenheiten zu regeln, wetteiferten seine Bewunderer, ihn bei sich zu Gast zu haben, allen voran die Familie des Schriftstellers Sergej Aksakow, die einen regelrechten Gogol-Kult veranstaltete (einmal wollten sie gar den Weihnachtsbaum mit einem Gogol-Porträt dekorieren). Dort bekam er besonders feine Piroggen vorgesetzt, auch besseren Braten als die übrigen Gäste, die erlesensten Gläser waren für ihn reserviert, und nur neben seinem Gedeck stand eine Karaffe mit Rotwein bereit. Oft wurden seine ukrainischen Lieblingsgerichte gekocht, allen voran Wareniki1 oder Galuschki2, auch seine geliebten Makkaroni kamen ausnahmsweise auf den Tisch.

War er mit ihrer Zubereitung nicht zufrieden, sah er selbst nach dem Rechten und gab Anweisungen, wie viel Käse darüber zu streuen sei. Makkaroni waren damals in Russland noch kaum verbreitet. Eines Tages kam er zu den Aksakows, zog Makkaroni, Parmesan und Butter aus seinen Taschen, ließ den Koch kommen und erklärte ihm, wie man Makkaroni kocht. Als die Nudeln aufgetragen waren, ganz gegen die Essgewohnheiten der russischen Tischgesellschaft nach Gogols Anweisung al dente zubereitet, begann er sie selber anzurichten. „Er stand vor der Schüssel, krempelte die Ärmel hoch, gab geschwind, aber sehr sorgfältig, zuerst unglaublich viel Butter hinein und begann die Makkaroni dann mit zwei Saucenlöffeln durchzumischen, nun gab er Salz dazu, Pfeffer und schließlich Käse und mischte lange weiter.“ Wie Sergej Aksakow berichtete, war Gogol dermaßen mit Leib und Seele bei der Sache, als sei das sein Lieblingsmetier, man hätte meinen können, so Aksakow, dass aus Gogol unweigerlich ein Spitzenkoch geworden wäre, hätte das Schicksal ihn nicht zu einem großen Dichter bestimmt. Jeder machte Miene, dass die Makkaroni sehr gut schmeckten, den meisten aber waren sie noch zu hart und pfeffrig; Gogol fand sie dagegen sehr gelungen und aß wie immer viel zu viel.

Vielleicht sollten auch wir uns ab und zu signore Niccolo zu Ehren eine Extraportion Makkaroni genehmigen – mit Lorbeerblatt selbstverständlich! Und wer al dente nicht mag, darf sie natürlich auch ruhig al gusto kochen …

Eine kleine Anekdote, die Aksakow in seinen, leider nur auf russisch vorliegenden, Erinnerungen überliefert, darf am Schluss keinesfalls fehlen. Er sei einmal gemeinsam mit seinen Kindern und Gogol auf Reisen gewesen. „Gogol war so liebenswürdig, immer so sehr zu Späßen aufgelegt, dass wir vor Lachen fast platzten.“ Kaffee und Tee, Frühstück und Mittagessen hätten unter seiner Aufsicht gestanden, alle seien gern Gogols Anordnungen gefolgt. „Wir fuhren ziemlich langsam“, so Aksakow, „denn die Pferde, die die Postkutsche zogen, kamen kaum vorwärts. Gogol vermutete, dass wir am nächsten Tag, gegen fünf Uhr nachmittags, in Torshok ankommen würden, folglich sollten wir dort zu Mittag essen und uns an den berühmten Bouletten von Posharski gütlich tun. Aus diesem Grund erlaubte er uns nur zu frühstücken, Mittag essen aber durften wir nicht. Fröhlich gehorchten wir.“ Statt aber um fünf Uhr nachmittags kam die Reisegesellschaft erst um drei Uhr morgens in Torshok an - die knurrenden Mägen kann man sich lebhaft vorstellen.

„Gogol machte so lustige Späße über das bevorstehende ‚frühe Mittagessen’, dass wir unter lautem Lachen die Treppe des berühmten Gasthauses hochstiegen, und Gogol bestellte sofort ein Dutzend Bouletten für uns – wir sollten gar nicht erst auf die Idee kommen, nach anderen Gerichten zu fragen.“ Eine halbe Stunde darauf – um halb vier Uhr morgens! - waren die Bouletten fertig und allein schon ihr Aussehen und ihr Duft weckten bei der hungrigen Reisegesellschaft großen Appetit. „Die Bouletten schmeckten wirklich ungewöhnlich gut, plötzlich aber (ich glaube, Vera war die erste) hörten wir alle auf zu kauen und begannen lange blonde Haare aus unseren Mündern zu ziehen. Das gab ein lustiges Bild ab und Gogols Späße verliehen diesem Abenteuer so viel Komik, dass wir minutenlang nur lachten wie die Verrückten. Als wir uns beruhigt hatten, fingen wir an, unsere Bouletten zu untersuchen, und was stellten wir fest? In jeder fanden wir einige Dutzend langer blonder Haare! Wie sie da hereingekommen waren, verstehe ich bis heute nicht. Von Gogols Vermutungen war eine lustiger als die andere. Unter anderem sagte er mit seinem nicht wiederzugebenden ukrainischen Humor, vermutlich ist der Koch betrunken gewesen und hat nicht ausgeschlafen, weil er geweckt worden ist, vor Ärger hat er sich die Haare gerauft, als er die Bouletten gemacht hat; vielleicht aber ist er auch nicht betrunken und überhaupt ein sehr guter Mensch, vielleicht hatte er vor kurzem Fieber und deshalb sind ihm die Haare ausgegangen, sie sind ins Essen gefallen, als er beim Kochen gerade seine blonden Locken geschüttelt hat.’ Wir ließen den Kellner kommen, um uns zu beschweren und Gogol sagte voraus, welche Antwort wir zu hören bekommen würden: ‚Haare? Was denn für Haare? Wie sollen denn da Haare reinkommen? Das ist doch gar nicht der Rede wert! Das sind Hühnerfedern, oder Daunen usw. usw.’ In diesem Moment kam schon der Kellner, und er antwortete auf unsere Frage genau so, wie es Gogol vorausgesagt hatte, manches sogar mit denselben Worten. Wir lachten dermaßen, dass uns der Kellner und unser Diener nur ansahen und vor Staunen die Augen aufrissen. […] Vera bat, man möge ihr eine Bouillon aufwärmen, wir drei aber machten uns, nachdem wir vorsorglich sämtliche Haare herausgezogen hatten, mutig über die Bouletten her.“

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Nikolai Gogol: Tote Seelen. Neu übersetzt und kommentiert von Vera Bischitzky. Mit 22 Radierungen von Marc Chagall. Düsseldorf 2009

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Phänomene: Nikolai Gogol (Teil 1)

Bücher: Oblomow
Charaktere: Schreiben und Kochen
Zutaten: Quelle

Autorin: Vera Bischitzky

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