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Abendmahl mit Blutwurst

Sie ist regionale Spezialität und internationale Größe. Sie steht am Anfang ihrer Art und bei Spitzenköchen hoch im Kurs. Eine Vampirgeschichte über die Blutwurst, True Blood und die Tierfresserei.

Auf den Spuren Graf Draculas und der Mutter aller Würste

Blut ist in, Blut ist chick. Sogar Menschenblut - allerdings nur in faden amerikanischen Roman- und Filmsettings, um die ansonsten so biedere Botschaft schrill zu übertünchen. Blut ist für sie nur Requisite, die kommerzielle Geste eines oberflächlichen Tabubruchs. Ästhetisch sind diese Machwerke jedoch blutleer und gastrosophisch betrachtet sind sie nichtssagend.

Blutleer im eigentlichen Wortsinn, denn in den Vampirgeschichten heutigen Datums geht es um Blut, das echt heißt, es aber nicht ist. Dank des so genannten „True Blood“ dürfen Vampire in der gleichnamigen Serie - von HBO mittlerweile in sechs Staffeln vorgelegt - wieder appetitlos unter den Menschen wandeln. Dabei ist „True Blod“ so künstlich wie Coca-Cola. Es hat nichts mehr mit dem Blut der Menschen gemein und kein Sterblicher muss seinetwegen gebissen und ausgesaugt werden. „Tru Blood“ wird nämlich industriell hergestellt und ist simpel im nächsten Drug Store zu erwerben. Damit ist die Beschaffungskriminalität der guten alten Vampire obsolet.

Blut und Fleisch

Ganz anders erzählt Bram Stokers Roman „Dracula“ diese Geschichte. Darin gibt es noch echten Horror und Beschaffungskriminalität, denn nichts anderes ist das Vorhaben des Grafen Dracula, in die an Menschenblut reiche Metropole London überzusiedeln. Auch ein echter ethischer Horror, der sich aus dem Gebot aus dem Buch Mose (9, 4) ergibt: „Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut in dem das Leben ist“.

Der Vampir ist deshalb böse und vogelfrei, weil er sich von Blut ernährt - das gute Fleisch ganz und gar verschmäht - und dann auch noch das Blut vom Menschen. Doch was menschliche Sitte nicht akzeptiert, ist für Dracula schlicht Nahrungsaufnahme. Bedeutet sein Biss für den Menschen schleichende Verdammnis, ist er ihm selbst nur eine Mahlzeit, die ihn physisch und mental stärkt. Ganz materialistisch gilt selbst für den untoten Adligen aus Transsylvanien: Sag mir, was du isst, und ich sag dir, was du bist.

Und nicht nur für ihn. Vollkommen idyllisch eröffnet Bram Stoker den Roman mit der Reise Jonathan Harkers zum Schloss des Grafen, indem er Land und Leute mittels Gerichten charakterisiert. Da geht es um „Paprikahendl“ und

„erstens einen festen Brei aus Maisgrieß, den sie mamaliga nennen und der in der Konsistenz unserem Porridge ähnelt; zweitens ein paar patlagele umplute, das sind mit Hackfleisch gefüllte Auberginen, die ebenfalls vortrefflich mundeten. (NB: Auch hierfür Rezept besorgen.)“

 So weiß der Leser, hier isst ein Mensch.

Feinschmecker unter den Untoten

Ein erster Verdacht glimmt auf, als Jonathan Harker in seinem Tagebuch schildert, dass Dracula ihn zwar stets mit ausgesuchten Mahlzeiten bediene, aber selbst nie davon koste. Doch erst die Begegnung mit drei untoten Schönen bringt Harker auf den Geschmack des Grauens.

„Die Hübsche trat näher und beugte sich über mich; schon spürte ich Ihren Atem. Er war süß, honigsüß und jagte mir die gleichen Schauer durch die Nerven wie ihre Stimme; doch in der Süße steckte etwas Bitteres, eine widerwärtige Bitterkeit: So riecht und schmeckt - Blut.“

Aber aufgepasst - das Saugen von warmem, frischem Menschenblut macht den Feinschmecker unter den Untoten aus. Die widerwärtigere Variante im Roman gibt der Zoophage und Insasse des Irrenhauses Renfield ab. Er verspeist Insekten und Kleintiere bis hin zur Katze. Doch das ist minderwertiges Essen, mehr Not als Vergnügen. Das Feingefühl hebt mit dem Menschenblut an, das schmeckt und dies weiß auch Renfield. Eine Begegnung mit der Ehefrau Jonathan Harkers, die in der Nacht zuvor dem Grafen als Abendmahl diente, beschreibt er britisch delikat: „Als Mrs. Harker mich heute Nachmittag besuchte, war sie nicht mehr dieselbe. Sie wirkte wie mehrfach verdünnter Tee.“

Die Ur-Wurst

A propos Abendmahl, bei dem ein treuer Christenmensch sich mit dem Wein immerhin symbolisch das Blut Jesu Christi einverleibt. Darob ist bis heute in den Gotteshäusern keine ethische Scheu zu spüren, zumal Oblate und Wein sich an das Trenngebot von Leib und Blut halten. In der TV-Serie hingegen sind auch True Blood narkotisierte Vampire vorstellbar, die zum Abendmahl schreiten. Ein Surrogat mehr oder weniger macht auch keinen ethischen Unterschied mehr. Oder lehnen moderne Vampire den Leib des Herren ganz konservativ ab?

Der originale Dracula gibt feinfühligen Gemütern noch eine Botschaft mit. Es ist das Schreckensbild des Zoophagen - des Tierfressers - Renfield. Im Roman ist Renfield ein Fall für das Sanatorium und endet als Notmahlzeit des dunklen Grafen. Doch seine Abweichung, Tiere lebendig samt Blut zu verspeisen, ist eigentlich die Norm unter den Menschen. Nach wie vor isst die Mehrheit der Menschen Tiere - wenn auch andere, sorgsam zerlegt und meistens nicht roh. Doch bei dieser Debatte hilft keine Symbolik weiter, da geht es um die Wurst.

Zum Beispiel um die Blutwurst. Seit Jahren ist sie im Niedergang begriffen und wird von Geflügelwurst mit Bärchengesicht aus industrieller Verarbeitung garantiert nicht glücklicher Hühner weggehackt. Dabei darf die Blutwurst in Anspruch nehmen, die Ur-Wurst zu sein: Es ist die Erfindung der Wurst aus dem Geiste des Schlachtens und damit eine urgastrosophische Replique auf die mosaische Trennung von Fleisch und Blut. Schon in Homers Odyssee dürfen wir von der Blutwurst kosten.

„Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet
Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget“

Von Flönz und Blunze

Das Basisrezept der Blutwurst verbindet mehr Kulturen und Völker als es die UN-Vollversammlung jemals zu schaffen vermag. Man denke nur an die europäischen Blutsverwandten wie die irische Drisheen oder die spanische Morcilla. Allein in Deutschland gilt es, dutzende von Blutwurst-Varianten und regionale Spezialitäten mit der Zutat Blutwurst zu entdecken. Im immer weniger katholischen und kaum noch heiligen Köln sorgt die „Kölsche Flönz“ für das entsprechende Lokalkolorit. Für diese relativ einfache, leicht geräucherte Machart der Blutwurst hat die Schutzgemeinschaft Kölner Wurstspezialitäten löblicherweise gar internationalen Markenschutz beantragt.

Noch löblicher, was Hans Horberth, ein echter - also zugereister und gebliebener - Kölner Koch der Flönz angedeihen lässt. Er vermählt die Kölsche Blutwurst mit einem Steinbutt und entwickelt so das kölnische Leibgericht „Himmel un Ääd“ (Himmel und Erde) weiter.  Bei Horberth bildet das Fundament der Erde nicht die Kartoffel, denn die kam erst nach Köln als der Dom schon fast fertig gestellt war. Nein, er nimmt hier die Knolle und das Grün des Selleries, um die Vermählung von Land und See, von Blut, Fleisch, Himmel (Apfel) und Steinbutt vollkommen werden zu lassen.

Der Begriff „Flönz“ erinnert übrigens wie die „Blunze“ - wie die Blutwurst in anderen Regionen heißt - an die Wurstzipfel, die in der Metzgerei als Reste vom Aufschnitt anfallen. Übertragen ist also die Blutwurst der Anfang und das Ende der Wurst. Sobald aus dem lebendigen, natürlichen Blut das Lebensmittel Wurst wird, setzt die Kultur des Essens ein. Das Ende dieser Kultur zeigt sich in der „True Wurst“ mit Bärchengesicht.

Echte Blutwurst ist der archaische Rest - älter als jeder untote Graf - einer Kultur, die frei von ethischem, religiösem oder ästhetischem Sodbrennen keine Reste hinterlässt, wenn sie Tiere tötet. Sie verwertet alles, weil es kostbar ist und köstlich wird. In der Wurst aus der Fabrik wurde hingegen alles verwertet, was Geld bringt. Das kostet der Kultur eine Menge - was uns ihr Preis nicht verrät.

Für Sie gelesen

Bram Stoker, Dracula. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier, Reclam Bibliothek, Stuttgart, 2012
Bei Amazon zu erwerben


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