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Das Symposium - vom Wein gestiftete Institution | Quelle Wikipedia

Wein

Seine Sinnlichkeit ist Verführung, seine Wirkung ein philosophisches Handwerkszeug. Wein ist nicht einfach Kulturbegleiter des Menschen sondern die essentielle alkoholische Quelle der abendländischen Zivilisation. Er ist ebenso prätentiös wie schlicht und beides zu recht.

Wein erzählt uns über den Menschen: anthropologisch, kulturell und ganz persönlich.

Wer keinen Wein trinkt, dem gerät entscheidendes in Vergessenheit. Wer ihn nicht ehrt, verliert das Gespür für Geschmack, Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit. Wer dem Wein gar abhold ist, dem mangelt es an einem belebenden Korrektiv der Nüchternheit.

Wein – er macht uns heiter und beschwingt, zuweilen hinterlässt er uns auch einen schweren Kopf. Immer aber ist er eines: ehrlich. Er ist vorurteilslos und eben nicht elitär oder arrogant. Seine Geschmackserlebnisse stehen nämlich jedem Gaumen offen, seine Inspiration kennt keinen Dünkel. Selbst wenn er komplex und voller Aromen steckt, verschließt er sich dem Gaumen des Genießers ebenso wenig wie dem des achtlosen Zechers.

Zuweilen will er schlicht und einfach gefallen, dann wieder allein durch seinem Duft auf sich aufmerksam machen. Manches Mal gibt er sich ein wenig eitel und möchte von sich Reden machen. Gerne begibt er sich in Gesellschaft und deshalb die beste Begleitung ab, welche sich ein hervorragendes oder geselliges Essen nur wünschen kann. Er unterstreicht den Charakter des Mahls, akzentuiert Geschmacksnuancen und stimuliert das Gespräch. Er hat das Vermögen, Alltägliches abwesend zu machen. Ein Umstand, den wir auf Feiern von ihm erwarten, und der in den antiken Kulturen ebenso ritualisiert wurde wie im Juden- oder Christentum, aber auch - ex negativo - im Islam. Viel erzählt der Wein über uns Menschen: anthropologisch, kulturell und ganz persönlich.

Kulturträger mit Erkenntnisgewinn

Viele Gottheiten der Antike sind uns in Vergessenheit geraten, doch die Gottheiten des Weins sind auf der Woge ihrer durchgängigen Beliebtheit bis in unser heutiges Gedächtnis gespült worden. Nicht nur der bekannte Bacchus klingt uns beim Wort Wein in den Ohren, ebenso gibt sich Dionysos die Ehre, während aus östlicher Ferne mit Osiris und Gilgamesch noch frühere Protagonisten des Weins hinüberwinken. Dies liegt nicht nur an den dionysischen Festen oder den Bacchantinnen, die im Zeichen des Weines gefeiert wurden. Wein, das wusste schon der Dramatiker Euripides im 5. Jahrhundert vor Christus, beschert der Menschheit erst ihre Liebeslust und Freude.

Wer an dieser Stelle denkt, dass Alkohol aber eine missliche Sache ist, da er der Gesundheit abträglich sei, dem mag man die banale Alltagsweisheit entgegenhalten, dass alles, was in Übermaßen genossen wird, der Gesundheit abträglich ist. Auch das im Übermaß nach Gesundheit strebende Leben ist Missbrauch und schädlich. Zudem wirkt der Genuss von Wein entspannend und anregend und ist somit der Gesundheit sehr wohl zuträglich. Noch grundsätzlicher: Wer Wein sagt und Alkohol meint, sollte etwas Nachhilfe in Logik bei Aristoteles nehmen. Alkohol ist ein Bestandteil des Weins, aber nicht der Wein selbst, der als Ganzes wiederum mehr als die Summe seiner Einzelteile ist.

Aus jüngster Zeit kennen wir die Studien, die dem Wein, in mäßiger Weise regelmäßig genossen, eine herzstärkende Wirkung attestieren. Bereits im antiken Rom ließ der Kaiser einen gesundheitlichen Imperativ in Sachen Wein in Marmorstein meißeln. Marc Aurel verkündete, dass niemand in seinem Reich so wenig Wein trinken solle, dass seine Gesundheit darunter zu leiden hätte. Bezeichnenderweise fiel Rom nach dem Ableben Marc Aurels unter dem gegensätzlichen Regierungsstil seines Sohnes Commodus dem Untergang anheim. Im Unterschied zu seinem Sohn teilte Marc Aurel das Urteil des Plutarchs, wonach „der Wein unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien die schmackhafteste und unter den Nahrungsmittel das angenehmste sei“.

Philosophen bitten zu Tisch

Nicht nur antike Götter und Regierungschefs sahen im Wein ein probates Mittel zum Erkenntnisgewinn. Einer der bedeutendsten Philosophen der Antike – und manche behaupten der gesamten Philosophiegeschichte – Aristoteles, nebenbei Begründer der Logik, sah im Wein den alleinigen Zugang zu den Musen. „Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte.“ Er spricht hier nicht nur die „Pforten der Wahrnehmung“ des Altertums an, sondern stellt auch die ebenso kulturell prägende Verbindung von Wein und Kreativität her. Der Wein ist nicht nur Schlüssel zu Erkenntnis, er ist die Anregung für geistige Produktion schlechthin.

Aristoteles selbst lernte in Platons Akademie. Der wiederum hat eine philosophische Lehrstätte institutionalisiert, die ihm sein Lehrer, Sokrates, ganz praktisch vorgelebt hatte, und die nun zum Gegenstand eines der Hauptwerke der Philosophiegeschichte wird: das Symposium. Nicht zufällig ein weiteres griechisches Wort, welches uns bis in die Gegenwart hinein vertraut ist. Heute erleben, besuchen oder hören wir allenthalben von Symposien zu verschiedensten Themen. In der Antike bezeichnete ein Symposium nichts weniger, aber eben auch nichts anderes als das gemeinsame gesellige Trinken, Essen und Debattieren. Ein Anfangspunkt der abendländischen Philosophie liegt demnach im Blick in den Weinpokal, der die Zunge derart beseelt, dass sie zum philosophischen Streitgespräch gestärkt ist und der Verstand sich mit dem Geist des Weins verbindet, um das Reich der Ideen in anderen Sphären zu beleuchten.

Ein zentraler Text Platons, das Höhlengleichnis, beschäftigt sich mit den Ideen und ihren Schatten. Und es ist kein Geringerer als der große Dante Alighieri, der inmitten des von uns als dunkel apostrophierten Mittelalters dem Wein eine gottgewollte Kraft bemisst, wie vor ihm Platon den Ideen und der Sonne: „Von Urbeginn der Schöpfung ist dem Weine eine Kraft beigegeben, um den schattigen Weg der Wahrheit zu erhellen.“

Aus dem Höhlengleichnis leitet Platon in derselben Schrift, seiner „Politeia“, das Sonnengleichnis ab. Dante entwirft in seiner göttlichen Komödie, einen ähnlichen Verlauf, den von der Höhle der Hölle in die Höhen des sonnigen Paradieses. Überträgt man diese Gleichnisse auf den Wein, wird seine Besonderheit evident, denn der Wein braucht beides: den Schein der Sonne, das Streicheln der Sonnenstrahlen auf die Trauben, aber auch die Dunkelheit des Kellers und der hölzernen Fässern, um den Saft der Sonne gereiften Trauben allmählich zu ihrer Entfaltung zu bringen.

Redseligkeit und ernste Worte

Gerade der Umstand, das er den Wein nicht mit seinen Strahlen streicheln kann, lies einige Jahrhunderte später Kurt Tucholsky zu der Erkenntnis gelangen, dass er keine Sonne sei. Sein Ausruf: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann“ ist zweifellos die zarteste Liebkosung, die ein Liebender seiner verflossenen Geliebten hinterher rufen kann, und sei es die eigene Gurgel hinunter.

Natürlich darf in deutschen Landen beim Thema Wein der beliebteste Dichter der Deutschen nicht fehlen: Wilhelm Busch, dieser hat bekanntlich nicht nur den Likör zur Witwe Bolte gedichtet, sondern auch viel Alltagsweisheit in den Umgang mit Wein gelegt. Im betagten Alter schmiedete er diesen noch heute bekannten Vers: „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.“

Doch auch der Fürst genannte Dichter, kann beim Wein nicht in einer langen Schlange hinten stehen, immerhin ist von Goethe nicht nur die bekannte Weisheit übermittelt, dass das Leben zu kurz ist, um schlechten Wein zu trinken, sondern auch eine wahrhaftige Allegorie auf das Leben und den Wein.

„Ein Mädchen und ein Gläschen Wein,
sind die Retter in der Not,
denn wer nicht trinkt und wer nicht küsst,
der ist so gut wie tot.“

Doch bei aller poetischen Leselust, an das tiefer sitzende Vermächtnis des Weines für den Menschen reichen die Verse nur anekdotisch heran. Der Wein – bildlich wie konkret gesprochen – als Katalysator menschlicher Kulturbildung verlangt nach philosophischem Denken und dürstenden Mündern. Nichts anderes verlangt die Gastrosophie.

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