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Der Bauch der Moderne erzählt. Cover des besprochenen Bandes (Ausschnitt)| © Suhrkamp

Restaurant Geschichte - Christoph Ribbat: Im Restaurant

Werden wir einmal grundsätzlich und betrachten einen zentralen Ort unseres Lebens: Das Restaurant. Was tun wir, wenn wir eines besuchen? Was erwarten wir? Was wissen wir über seine Historie und welche Geschichten kennen wir? Christoph Ribbat gibt überraschende Antworten.

Der Bauch der Moderne erzählt

In Frankreich isst man schlecht. So überliefern es ausgerechnet Engländer. Die Kost ist grauenvoll und wird in schmucklosen Herbergen in großen Schüsseln auf lange Tische gestellt, damit sich alle daraus bedienen. Es handelt sich um karge Gerichte, die lediglich das nagende Gefühl des Hungers beseitigen sollen. In dieser vorrevolutionären Zeit sehnen sich zahlreiche Franzosen nach der englischen Küche. Rezepte wie die Crème anglaise, sind eine zur Rose gezogene Liebeserklärung der Franzosen an die britische Küche und ihren custard.

Jenseits der aristokratischen Höfe hat Frankreich seinen Reisenden kulinarisch nicht viel zu bieten. Doch um 1760 entwickelt sich in Paris eine neue Mode: man trifft sich an einem halb geschützten öffentlichen Platz, um sich zu erholen und sich bei einer Geflügel-, Wild-oder Kalbsbouillon zu „restaurieren“. Noch geht es hier nicht um das Tafeln, als vielmehr das mehr oder weniger genüssliche Schlürfen. Im Unterschied zur politischen Debatte, mit der das um Offenheit bemühte Café lockt, geht es im Restaurant privater zu. Man trifft sich zu Gesprächen in kleinen um Tische angeordnete Gruppen, oder als Paar in speziellen dafür angelegten cabinets particuliers. Daher gilt von Anfang an: In Restaurants tauchen Mann und Frau zusammen auf. Sehr zur Verwunderung der Besucher des Paris jener Zeit.


Schnell spezialisieren sich diese neuen Gaststätten. Jedoch im frühen 19. Jahrundert nur in Paris, noch nicht im übrigen Frankreich. Gemäß den Wünschen der Gäste wird das Angebot an Speisen differenzierter. Nach der Revolution wünscht der Bürger die Früchte der Aufklärung auf dem Teller. Die entstehenden Bahnlinien ermöglichen es nun, auch  Meeresfrüchte und Spezialitäten aus den unterschiedlichen Regionen des Landes tagesfrisch in den Bauch der Metropole zu transportieren. Und das Restaurant macht vor allem von Anfang an eines: von sich Reden. Der Beruf des Restaurantkritikers wird ebenso aus der Taufe gehoben, wie die Kunstfigur des Gourmand, der sich in seinen Betrachtungen ausschließlich auf das Essen, seine Köche und die Restaurants, in welchen es serviert wird, konzentriert. Schnell besinnen sich die Pariser auf die Regionen des Landes, aus denen die unterschiedlichen Spezialitäten geliefert werden, dies jedoch lediglich, um festzuhalten, dass diese alle für sich genommen sehr gut sind, aber erst auf dem Weg in die Hauptstadt wirklich an Geschmack gewinnen. Die Pariser Gastronomie entwickelt sich zeitgleich mit der Medienwelt der entstehenden Metropole und die französische Küche kann erst zu der französischen Küche werden, weil sehr viel über sie erzählt wird. Dies geht um 1900 schließlich so weit, dass der Reifenhersteller Michelin einen gastronomischen Führer veröffentlichen wird, um seinen Kunden Anreize zu geben, die neu entwickelten Automobile möglichst so weit zu fahren, dass bald wieder Bedarf an neuen Reifen besteht. Das System der Sterne wird später entwickelt werden, das System der Restaurants hat sich mittlerweile über das gesamte Land verbreitet und findet auch in den Nachbarländern Nachahmer. In der Zwischenzeit entdecken auch Pariser Literaten das Restaurant, ein Umstand für den Emile Zolas 1873 erschienener Roman „Der Bauch von Paris“ namhaftes Zeugnis ablegt.

Gegensatz auf engstem Raum

Doch es sind nicht nur die Geschichten rund um die Geschichte des Restaurants, die Christoph Ribbat seinen Lesern nahe bringen möchte. In seinem klug konstruierten „Restaurant“ bewegt er sich selbst abwechselnd vom Tisch des Gastes hinter die Kulissen. Er betrachtet die Dekoration, das Essen, die Gäste und Kellner, um dann zu sehen, wie die Arbeitsbedingungen hinter dem schönen Schein der Vorderseite tatsächlich aussehen. Und dabei sollte man ihm für einen Moment zusehen. Denn hier betreibt ein Amerikanist die Arbeit eines Soziologen, ein Literat die Arbeit eines Historikers und ein Regisseur die Arbeit eines Oberkellners, der das umfangreiche Material so leichthändig in Szene zu setzen vermag, als würde er am Tisch in eleganter Routine die Bestellung des Gastes mit einem Lächeln notieren. Und immer wieder arrangiert er sein Material um die spannende Frage welche Gegensätze im Restaurant aufeinander treffen. Von Beginn an ist das Restaurant nicht nur ein Platz der privaten Öffentlichkeit sondern vor allem einer der Illusion. Die Kulissen lassen den Gast darüber im Unklaren, welche Situationen sie verbergen. Der Kellner, der gerade noch den Küchengehilfen wütend zurechtgewiesen hat, wird mit einer Körperdrehung die Schwingtür zum Gastraum öffnen und seine professionelle Ausstrahlung wird dem Gast die Überzeugung abtrotzen, es hier mit einem stets besonnen agierenden Menschen zu tun zu haben.

Doch die Gegensätze in der Geschichte des Restaurants sind schlimmer, als wir heute zu glauben gewillt sind. Die schlechten Belüftungen vieler Küchen führen oftmals zu einem frühen Tod der Köche, manche sind durch die Arbeit derart ausgemergelt, dass sie – Ironie des Schicksals – schlicht weg während der Arbeit an Unterernährung zusammenbrechen. Für fast alle Bediensteten bleibt der Besuch des eigenen Restaurants als Gast zeitlebens ein Fall der finanziellen Unmöglichkeit, ihre Entlohnung ist einfach zu schlecht. Gleichzeitig wird Arbeitseinsatz von Morgens bis tief in die Nach erwartet. Eric Blair ist einer von diesen Arbeitern hinter den Kulissen des schönen Scheins, der polierten Gläser, der Silberhauben und der weißen Tischdecken. Er will einen Roman schreiben, doch seine Karriere läuft bisher nicht vielversprechend. Also arbeitet er als Küchenhelfer, als plongeur. Er arbeitet in der „Auberge“ bis nach Mitternacht, um gegen 7.00 Uhr wieder zu beginnen. Er stellt Rattenfallen auf, putz Heringe und Gemüse, putzt auch die Teller, statt sie zu spülen an der Hose ab, das geht schneller. Er ist in dieser mit Ratten und Küchenabfällen durchzogenen Küche sicher im schmutzigsten Lokal der gesamten Stadt zu arbeiten. Doch seine Kollegen versichern ihm woanders ist es auch nicht besser. Im Gegenteil: Die „Auberge“ läuft gut. Selbst Pariser verkehren hier. Denn der Chef hat scharfe Messer für die Kundschaft gekauft, so wird in dieser Zeit jedes Restaurant zum Erfolg. So dreckig die Erfahrungen Eric Blairs auch sein mögen, sie werden der Stoff sein, aus dem sein aus Kurzgeschichten bestehendes erstes Buch entsteht. Die Geschichten sind ihm zu dreckig, er entscheidet sich, das Buch unter Pseudonym zu veröffentlichen. 1933 erscheint sein Buch, noch weiß Eric Blair nicht, dass er der Welt unter seinem falschen Namen in Erinnerung bleiben wird. Als Pseudonym hat er sich einen schlichten Namen seiner britischen Heimat gewählt: George Orwell.

Restaurant - das produktive gesellschaftliche Labor


Es handelt sich hierbei nur um eine der zahlreichen Geschichten, denen Ribbat in seinem Buch nachgeht. Dabei ist es bemerkenswert, dass alle nicht nur spannend, sondern auch aufschlussreich sind. Gleich ob sie von Alfred Köllings, dem mittlerweile fast vergessenen Autor des 1956 erschienen „Theorie und Praxis“, dem Standardwerk für Auszubildende im gastronomischen Gewerbe der DDR. Oder die des ausgehungerten Soldaten sind, der nach dem Krieg von Bochum aus ins Münsterland fährt, um aus nichts und etwas Geschick im Skatspiel essbares mit nach Hause nehmen zu können. Dieser Mann wird später seine erste Restaurantkritik über das Maxims schreiben, dem Restaurant im Paris, das unter Leitung von Otto Horcher nicht nur von Josef Goebbels lobende Erwähnung gefunden hat. Doch Siebeck geht es nicht um Vergangenes, er möchte weg von der braunen Mehlschwitze und der Hausmannskost der Nazis. Im geht es um einen kulinarischen Neuanfang. Das erste Rezept, welches er veröffentlichen wird, ist eines, das bis dahin noch nie in deutscher Sprache Erwähnung fand: „Vitello tonnato“.

Im Restaurant sitzt Jürgen Dollases, dessen Werdegang von der Gründung seiner Krautrockband Wallenstein - die ursprünglich, so wollte es der spätere Kritiker tabubrechend 26 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieg inszenieren, Blitzkrieg genannt werden sollte - zum Restaurantkritiker nachgezeichnet wird. Auch hier geht der Autor in die Tiefe, er bleibt nicht bei der Beschreibung stehen, dass der Musiker nun kulinarische Stile erforscht, sondern zeigt auf, welche Kriterien Dollase dafür nennt, um die Subjektivität des Essers, bis dahin auch weithin Kennzeichen der Restaurantkritiker, in Ansätzen zu objektivieren.


Selbstverständlich erfahren wir auch die Entstehungsgeschichte des El Bulli und begleiten Bill Buford durch die Küchen von New York. Es sind, neben der Nennung all der bekannten oder vergessenen Namen, diese kleinen Mosaiksteine, die dieses Buch so überaus spannend, informativ und lesenswert machen, denn sie verdichten sich zu einer Form: Das Werk zeigt die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Gastronomie und Gesellschaft auf, offenbart die feinen Unterschiede und die großen Differenzen, ohne sie jedoch eigens zu theoretisieren. Und gerade, da die Vielzahl der Restaurantkritiker zuallererst das Wort „Ich“ im meist vollen Munde führt, sollte man das vorläufige Fazit des Autors in seinen Worten zitieren, denn es ist die Form der Offenheit, die das Restaurant zu einem mehr als bedeutenden Objekt für Kultur- und Gesellschaftsreflexionen werden lässt. Und gerade weil es derart offen sein muss, stets auf Neuzugänge angewiesen ist und die Ärmsten aufnimmt, damit sie Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft werden, die in der Gastronomie arbeitet wird „das Restaurant zu einem Labor, in dem immer wieder produktiv nachgedacht wird: über Konsum, Inszenierung, Arbeit, Ungleichheit.“
Wer im Restaurant mehr sucht, als Bedürfnisbefriedigung, dem sei dieses Buch nicht einfach empfohlen, es sei ihm auf den leergeräumten Esstisch gelegt.


Für Sie gelesen:

Christoph Ribbat: Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2016, 228 S., 19,95€
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Im Restaurant: Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne

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