Asparagus officinalis: eine amour fou der Deutschen

Asparagus officinalis: eine amour fou der Deutschen | Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei

Spargel

Asparagus officinalis – Der Gemüsespargel

Frühlingsgefühle

Hand aufs Herz, haben Sie sich nicht einmal unsterblich und vielleicht sogar unmoralisch verliebt? Wir Deutschen geben es nur ungern zu, aber auch uns treibt eine amour fou um. Selbst wenn wir so tun, als sei diese ein Spleen unserer Nachbarn aus Frankreich, die so etwas für ihr savoir vivre brauchen.

Aber insgeheim neiden wir den Franzosen ihr savoir vivre - da wir es einfach falsch mit Lebenskunst übersetzen – und frönen unsere amour fou, die uns um den Verstand bringt. Heimlich, kaum zu verbergen und vor allem: Regelmäßig!

Denn sobald der Schnee schmilzt, überkommt uns eine Hoffnung, eine Sehnsucht, eine Raserei: Wir wollen Spargel! Den Besten! Den Schönsten! Den Frischesten! Spargel ist uns der Frühling zum Verzehren. Spargelstangen, Spargelsud und Spargelsuppe. Spargel am Stück, Spargel gedünstet, Spargel aus dem Ofen, Spargel im Frikassee. Spargel mit Butter. Spargel mit Beurre Noisette und Parmesan, Spargel mit Petersilienbutter, Spargel mit Bärlauch. Spargel zu Jakobsmuscheln, Spargel zu Fisch, Spargel mit Kalbsschnitzel, Spargel mit rohem, Spargel mit gekochtem Schinken, Spargel in Stücken und auf Pasta. Und dies ist nur die Spitze des Spargelrezeptbergs, der mit dieser Stelle gesichtet wird.

Selbstredend sind wir davon überzeugt, dass wir den besten Spargel haben. Weltweit! Bloß aus welchem Landstrich der beste Spargel kommt, wird von Region zu Region unterschiedlich gesehen und so ist interregional höchst umstritten, welches Spargelterrain das beste im Lande ist. Selbstredend reden wir - wenn wir über Spargel reden - stets über den weißen Spargel, der aber auch gerne ins Violette hinein schimmern darf. Grüner Spargel hat auch seine Berechtigung, irgendwie, aber er verfügt bei weitem nicht über den Geschmack von gut zubereitetem frischen Spargel aus der – selbstredend - richtigen Region.

Auf der Suche nach dem verlorenen Spargel

Einen Fingerzeig über die Region des besten Spargels können wir natürlich bei Proust - dem Meister des Essens und der Recherche finden -, wenn wir uns gemeinsam mit ihm auf die Suche nach der verlorenen Zeit machen. Denn im Roman gibt es eine Anekdote über zu teuren Spargel. Proust spielt damit auf zwei Bilder von Manet an, die er im Frühjahr 1899 in der Sammlung Ephrussi gesehen hatte. 1880 kaufte Charles Ephrussi das Bild „Spargelbund“ von Éduard Manet, der dafür – die von manchen Bürgern im Roman als viel zu hohe Summe für einen Spargel eingeschätzte – achthundert Francs verlangte. Doch Ephrussi zahlte dem Maler sogar tausend Franc. Dieser bedankte sich mit einer Zusendung. In der Notiz des Zeichners an den Mäzen steht zu lesen „Einer fehlte in Ihrem Bund“. Daneben lag das Bild des Meisters von nur einem einzigen Spargel, welches sich heute im Musée d'Orsay in Paris bewundern lässt. Das andere Bild, welches den Spargelbund zeigt, kann man im Wallraf-Richartz Museum in Köln sehen. Mithin also in einer Stadt – Zufälle sind selten Zufälle - die gleich von mehreren Regionen mit hervorragendem Spargel umgeben ist.

Bei uns könnte der Frühling problemlos in Spargelzeit umbenannt werden. Allerdings würde dann unsere Leidenschaft zu offensichtlich werden, halten wir uns also lieber an das bekannte Synonym der Frühlingsgefühle. Wir Eingeweihten wissen ja, wie das recht zu verstehen ist. Im Überschwang der Gefühle wird dem  Asparagus officinalis gerne eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt. Ein wohlmeinendes Gerücht, das mutmaßlich von der phallischen Form des dauererigierten Spargels inspiriert ist. Eine Erklärung, die sich in Isabel Allendes „Aphrodite - eine Feier der Sinne“ findet, und auch in „Veronika, der Lenz ist da“ durchscheint, wenn unverblümt festgestellt wird: „die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächst“.

Am Johannistag, genau drei Tage nach der Sommersonnenwende, wird der letzte Spargel gestochen. Verzehren wir diesen Abschiedsgruß der Saison, beenden wir das Spargelmahl und trinken mit melancholischem Gesichtsausdruck einen Schluck Wein, um dem jetzt vergangenen Spargel kurz zu gedenken. Nein, eine Träne weinen wir ihm nicht nach. Wir wussten es ja vorher. Es war nichts ernstes, nichts von Dauer. Es war doch nur eine amour fou.

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