Schreibspiegel -Rhizoma zingiberis
Ingwer wärmt, würzt und verweist auf unbewusste Produktion
Mit dem Rhizom überschreitet man – bildlich gesprochen – die eher zufälligen Grenzen des bewussten Subjekts und öffnet sich den Einflüssen, welche das Subjekt und seine sprachlichen Äußerungen formen. Für die Autoren wurde das Rhizom das Bild der Verbindung von Autor, seinen Einflüssen und der Leserschaft.
Was aber lehrt uns diese Feststellung über die Ingwerwurzel? Schon das Wort trägt in der zweiten Hälfte die Wurzel im Namen, während es seine rhizomatische Struktur verschweigt. Der erste Teil des Wortes ist etymologisch gesehen ein Wanderwort aus dem Südostasiatischen Raum, dessen Zuordnung nicht mehr eindeutig getroffen werden kann. Das Rhizom, oft verkürzt als Wurzelstock bezeichnet, ist selbst weder Wurzelwerk noch Blatttrieb, sondern deren Transmitter. So steht das Rhizom als sicht- und im Falle des Ingwers schmeckbarer Übergang vom Wurzelwerk zum Blattrieb.
Rhizom und Sprache
In der Linguistik, der Philosophie und der Psychoanalyse könnte man sich also das wurzellos wuchernde Rhizom durchaus als Heilsversprechen vorstellen. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass es die Sprache ist, die vorgibt, die Heilung für die Wunden zu sein, die sie selbst schneidet. Denn die Sprache führt uns zur Aufklärung, aber sie entfernt uns unheilbar aus dem Bereich der frühkindlichen Innerlichkeit und Unmittelbarkeit. Mithin also einen Bereich, den wir Zeit unseres Lebens stetig (Nicht-) vermissen werden. Symptomatisch verweisen Rhizome durch ihre Blattnarben auf diese Vernarbung bei der Abkapslung von der Nicht-Sprachlichkeit. Endlich können wir teilhaben am Universum der Zeichen, verlieren aber das, was die Religionen und andere Heilslehren uns seit Menschen Gedenken versprechen: Unmittelbarkeit, Versenkung und passend zur jeweiligen Lehre irgend etwas dazu. Die heilige Dreifaltigkeit so zu sagen. Sprachlich gesehen ist es jedoch entgegen aller Heilsversprechen eine Welt der Unmittelbarkeit in die wir uns nur auf dem Weg der Sprache wieder begeben, wenn wir den Schreibfluss nicht bewusst lenken, sondern ihm nachgeben und den Text selbst zum Sprechen bringen.
Aber genug der sprachlichen Spitzfindigkeiten zwischen Wurzel und Blatt. Schön ist es, an dieser Stelle den Blick über andere Rhizome schweifen zu lassen: Gelbwurzel, Lotus, Galgant, Giersch, Maiglöckchen, Buschwindröschen, Veilchenwurzel aber auch der bei uns sehr beliebte Spargel zählen dazu. Und ist nicht der Spargel die Metapher, um die Subjektivität zu überwinden?
Anscheinend, so sagen uns die Rhizome schweigend, dass wir uns neben der Sprache und ihrem Universum, auch den Dingen an sich zuwenden sollen, in diesem Falle: der Unmittelbarkeit des leiblichen Genusses, welche sie uns zu bereiten verstehen. Erst auf Grundlage dieser sinnlichen Erfahrung, vermag die Produktion eines Textes voranzuschreiten. Denn der Ingwer ist nicht nur ein wärmendes Gewürz, sondern auch eine anregende Heilpflanze und eine Metapher der unbewussten Produktion, rein rhizomatisch betrachtet.